Kernziele der Steuerreform sind gefährdet

Forschung

Die von der Bundesregierung geplante Steuerreform greift zu kurz. Sie soll, so die Absicht der Regierenden in Berlin, die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen stärken und den Standort Deutschland für in- und ausländische Investoren attraktiver machen. Berechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Universität Mannheim zeigen indessen: Die Steuerentlastung der Unternehmen verbessert zwar deren Wettbewerbsfähigkeit, fällt insgesamt aber zu gering aus. Vor allem anlageintensive Unternehmen und solche, die ihren Gewinn ausschütten, profitieren wenig von der steuerlichen Entlastung. Darüber hinaus verursacht die geplante Reform neue Verzerrungen und Abgrenzungsprobleme, die das deutsche Steuersystem noch komplizierter machen, als es ohnehin bereits ist. Anlass zur Kritik gibt auch die Tatsache, dass die Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung, die ursprünglich durch die Reform gemildert werden sollte, noch verstärkt wird und dass die Schaffung eines europatauglichen Körperschaftsteuersystems durch Einführung des Halbeinkünfteverfahrens neue, europarechtlich bedenkliche Regelungen mit sich bringt. Insgesamt ist daher fraglich, ob das Steuersenkungsgesetz in seiner vorliegenden Form seine zentralen Ziele erreichen kann.

Nach Auffassung der Steuerexperten des ZEW ließe sich eine Stärkung des Standorts Deutschland und Entlastung der Unternehmen ohne abermalige Verkomplizierung des Steuersystems und steuerliche Verzerrungen aber durchaus erreichen. Dazu wäre aller-dings eine noch deutlichere Senkung der Steuersätze und die Angleichung des Spitzensatzes der Einkommensteuer an den Körperschaftsteuersatz erforderlich. Darüber hinaus sollte in diesem Zusammenhang auch die geplante Einführung des Halbeinkünfteverfahrens noch einmal überdacht werden.

Gewinner und Verlierer der Reform

Hinsichtlich der im Rahmen der Steuerreform geplanten Einzelmaßnahmen zeichnet die ZEW-Analyse ein Bild mit Licht- und Schattenseiten. Positiv zu bewerten ist die entlastende Wirkung der Steuersenkungen, weil dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der in Deutschland ansässigen Unternehmen verbessert wird. Negativ ist, dass die Zusatzbelastung durch die Gewerbesteuer erhalten bleibt.

Allgemeingültige Aussagen über das Ausmaß und das Vorzeichen der Belastungsänderungen auf Unternehmensebene sind zwar nicht möglich, Berechnungen mit dem "European Tax Analyzer", einem Computersimulationsprogramm, zeigen allerdings, dass die Höhe der Entlastung des einzelnen Unternehmens bei der geplanten Steuerreform im Wesentlichen durch sein Ausschüttungsverhalten sowie seine Anlageintensität bestimmt wird. So gehören Unternehmen, die Gewinne in größerem Umfang einbehalten, zu den relativen Gewinnern, weil der Steuersatz für einbehaltene Gewinne um 15 Prozentpunkte verringert wird (von 40 auf 25 Prozent), während sich die Reduktion für ausgeschüttete Gewinne (von 30 auf 25 Prozent) nur auf fünf Prozentpunkte beläuft.

Anlageintensive Unternehmen zählen infolge der geplanten Gegenfinanzierung der Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage vor allem durch die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen zu den relativen Verlierern. Da die Gegenfinanzierung eindeutig zu Lasten von Maschinen- und Gebäudeinvestitionen geht, ist fraglich, ob die Steueränderungen die Investitionsbereitschaft in Deutschland tatsächlich erhöhen werden.

Mit Blick auf die für den Mittelstand relevante Gesamtsteuerbelastung, die neben den Steuern des Unternehmens die Steuerzahlungen der Gesellschafter (auf Gewinnaus-schüttungen) umfasst, ergeben sich ebenfalls Entlastungen. Dagegen werden die Anteilseigner von Großunternehmen durch den Wechsel vom körperschaftsteuerlichen Vollanrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren tendenziell stärker als bisher belastet, da die auf Dividenden lastende Körperschaftsteuer künftig stets definitiv wird.
Aus der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens resultieren darüber hinaus gravierende Verzerrungen in Bezug auf unternehmerische Entscheidungen. Generell gilt, dass künftig der persönliche Einkommensteuersatz der Anteilseigner darüber entscheidet, ob Kapitalgesellschaften eher mit Eigenkapital oder eher über ein Gesellschafterdarlehen finanziert werden. Bei niedrigen persönlichen Einkommensteuersätzen ist die Finanzierung mit Gesellschafterdarlehen günstiger, bei hohen persönlichen Einkommensteuersätzen die Eigenkapitalfinanzierung. Vergleichbare Verzerrungen und Abgrenzungsprobleme treten bei der Frage auf, ob Gewinne einer Kapitalgesellschaft über Ausschüttungen oder Gesellschafter-Verträge (zum Beispiel Gehaltszahlungen) an die Gesellschafter gelangen sollen.

Zwiespältige Anreizsituation für in- und ausländische Investoren

Im internationalen Vergleich wird nach der Reform die Steuerbelastung von Unternehmen in Deutschland geringer sein als in den USA und Frankreich, aber nach wie vor deutlich höher liegen als in den Niederlanden und Großbritannien. Diese Verbesserung seiner Position im internationalen Steuerwettbewerb müsste sich für Deutschland bei Investitions- und Standortentscheidungen internationaler Investoren eigentlich positiv auswirken. Allerdings wirken andere der geplanten Maßnahmen diesem positiven Effekt wieder entgegen.
So entfällt durch die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens die bisherige Diskriminierung von Gewinnausschüttungen von ausländischen (Tochter-) Gesellschaften beim körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren. Dies erhöht für deutsche Unternehmer die Attraktivität von Investitionen im Ausland. Hinzu kommt, dass sich auch aus Sicht ausländischer Investoren die Attraktivität des Standorts Deutschland vermindern dürfte. Da für Auslandsinvestoren häufig die Ausschüttungsbelastung die relevante Belastung markiert, fällt die Tarifsenkung von 30 auf 25 Prozent, wenn man gleichzeitig die verschlechterten Abschreibungsbedingungen bedenkt, tendenziell zu gering aus. Zudem verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für die konzerninterne Unternehmensfinanzierung mit Fremdkapital, da die Voraussetzungen für die Anerkennung der Gesellschafter-Fremdfinanzierung verschärft werden.

Rechtsformabhängigkeit der Besteuerung wird verstärkt

Ein weiteres Reformziel, die derzeit bestehenden Unterschiede bei der Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen abzubauen, wird ebenfalls nicht erreicht. Im Gegenteil: Die Rechtsformabhängigkeit der Besteuerung wird aufgrund der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens und der (noch) größeren Spreizung zwischen Körperschaftsteuersatz und Spitzensatz der Einkommensteuer erheblich verstärkt und zementiert. Nur für den Fall, dass die Gesellschafter von Personengesellschaften dem Einkommensteuerspitzensatz unterliegen und die Kapitalgesellschaft ihre Gewinne vollständig ausschüttet, ist die Steuerbelastung auf Gesamtebene bei Personen- und Kapitalgesellschaften in etwa gleich hoch.

Die Option zur Körperschaftsteuer kommt nur für eine kleine Minderheit der Personenunternehmen in Frage, da mit der Ausübung der Option Nachteile in anderen Bereichen verbunden sind. So können zum einen durch den Zwang, die Option einheitlich ausüben zu müssen, Interessenkonflikte auftreten, wenn die Gesellschafter unterschiedlich hohen persönlichen Einkommensteuersätzen unterliegen. Zum anderen können mit der Option gravierende Nachteile bei der Erbschaftsteuer gerade für solche Unternehmen auftreten, für die die Ausübung der Option aus ertragsteuerlicher Sicht überhaupt in Frage kommt. Bei den meisten Personenunternehmen wird daher künftig die Regelbesteuerung Anwendung finden. Um die sich ergebenden Benachteiligungen der regelbesteuerten Personenunternehmen gegenüber thesaurierenden Kapitalgesellschaften zu verringern, wäre deshalb eine stärkere Absenkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer anzuraten.

Sofern Kapitalgesellschaften im Vergleich zu Personenunternehmen die höhere Steuerlast aufweisen - dies ist bei hohen Ausschüttungsquoten und niedrigen persönlichen Einkommensteuersätzen der Gesellschafter der Fall - reicht eine Steuersatzsenkung bei der Einkommensteuer allein nicht aus, um eine rechtsformneutrale Besteuerung zu gewährleisten. Vielmehr müssen die Kapitalgesellschaftsgewinne in einer anderen Form als dem vorgesehenen Halbeinkünfteverfahren in die Einkommensteuer integriert werden. Das bislang bestehende Vollanrechnungsverfahren weist hier Vorteile auf, da es gegenüber dem Halbeinkünfteverfahren zu geringeren Verzerrungen führt, insbesondere wenn es gelingt, den Spitzensatz der Einkommensteuer und den Körperschaftsteuersatz einander anzunähern.

Halbeinkünfteverfahren schafft neue europarechtliche Probleme

Im gegenwärtigen körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren werden ausländische gegenüber inländischen Einkünften diskriminiert, da die auf ausländischen Einkünften lastende ausländische Körperschaftsteuer nicht auf die deutsche Einkommensteuer anrechenbar ist. Das Halbeinkünfteverfahren beseitigt diese Ungleichbehandlung, da es in- und ausländische Dividenden gleichermaßen begünstigt und nur zur Hälfte in die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht. Die Einführung des Halbein-künfteverfahrens führt insofern zu einem europatauglichen Körperschaftsteuersystem. Allerdings könnte auch das Anrechnungsverfahren europarechtlich unbedenklich und in ausreichendem Umfang europatauglich gestaltet werden. Dies gilt insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass mit der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens neue europarechtlich bedenkliche Regelungen einhergehen. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die Begrenzung der Anrechnung ausländischer Quellensteuern, die Hinzurechnungsbesteuerung sowie die Anerkennung der Fremdkapitalfinanzierung von Kapitalgesellschaften durch ausländische Gesellschafter.

Ansprechpartner

Dr. Christoph Spengel (Universität Mannheim), Telefon: 0621/181-1701 

Dr. Gerd Gutekunst , E-Mail: gutekunst@zew.de  

Rico A. Hermann, E-Mail: hermann@zew.de  

Dr. Thorsten Stetter , E-Mail: stetter@zew.de