ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Reformkurs halten"

Standpunkt

So als ob wir nicht genug damit zu tun hätten, das Finanzsystem von der Intensivstation in die Rehabilitation zu bringen, versuchen nunmehr einflussreiche Gruppen, ihr Süppchen auf der Flamme der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zu kochen. Unter dem Schlagwort der Bekämpfung eines Neoliberalismus werden Reformbemühungen verunglimpft.

Die seinerzeitige Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer? Weg damit. Stattdessen ein Bußgeld für Leistung zwecks Finanzierung vermehrter Bildungsanstrengungen. Wie viele Leute sich überhaupt noch bilden, wenn die Früchte höherwertiger Leistungen der Steuer zum Opfer fallen - egal. Rente mit 67 Jahren? Weg damit. Dass die Demografie solche Einschnitte notwendig macht, wenn man die Altersrenten nicht noch mehr beschneiden will - egal. Verkürzung der Bezugsdauer des regulären Arbeitslosengelds? Weg damit. Dass diese und andere Reformen auf dem Arbeitsmarkt ihren Beitrag zum Beschäftigungsaufbau geleistet gaben - egal. Und so geht es weiter: weg, weg, weg. Die Rolle rückwärts feiert in Deutschland fröhliche Urstände. Die Rolle vorwärts schaut bei solchen Leuten ähnlich verheerend aus. Flächendeckende Mindestlöhne in Höhe von 7,50 Euro? Her damit. Dass damit beträchtliche Verluste in Höhe von mehreren Hunderttausend Arbeitsplätzen einhergehen werden und zwar gerade bei den geringqualifizierten als einer der hauptsächlichen Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt - egal. Eine Aufstockung der Abwrackprämie bis zu einem Betrag von fünf Milliarden Euro? Her damit. Dass damit eine spezielle Branche subventioniert und ein Strohfeuer entzündet wird und überdies zahlreiche, durchaus noch funktionstüchtige Gebrauchtwagen der Vernichtung anheim fallen, die man noch wie zuvor in ärmere Länder hätte exportieren können - egal. Eine staatliche Beteiligung an Opel? Her damit. Wen kümmern schon die Überkapazitäten auf dem Automobilmarkt und die Entscheidung der Käufer, welche Autos sie kaufen wollen. Wen interessiert schon, dass eine eventuelle Insolvenz von Opel nicht bedeutet, dass die Arbeitskräfte eben nicht am nächsten Tage auf der Straße stehen werden, sondern sich ein Insolvenzverwalter vermutlich erfolgreich um die Rettung vieler Arbeitsplätze bei Opel bemühen wird. Dass mit einer finanziellen Unterstützung von Opel ein verhängnisvoller Präzedenzfall geschaffen wird - egal. Und so geht es weiter: egal, egal, egal. Und weil man schon beim Geldausgeben ist, wieso nicht gleich ein drittes Konjunkturpaket? An diesbezüglichen Ideen mangelt es nicht, obgleich bereits entsprechende Überlegungen zu einem Attentismus der eventuell Begünstigten führen dürften. Wer investiert heute, wenn er glaubt, in Bälde in den Genuss von Subventionen für dann vorgenommene Investitionen zu kommen? Die bisher beschlossenen Konjunkturpakete sollten erst einmal ihre Wirkungen entfalten, im Inland wie im Ausland. Außerdem sind die Investitionen in die Infrastruktur noch nicht wirklich in die Tat umgesetzt worden. Schließlich ist die Hoffnung nicht abwegig, dass die Abwärtsdynamik der Konjunktur hierzulande demnächst abklingt. Das alles spricht derzeit gegen ein drittes Konjunkturpaket, zumal es ein solches eigentlich schon gibt, nämlich in Form der im Vergleich zum letzten Jahr markant gesunkenen Erdöl- und Nahrungsmittelpreise. Forsche Aufforderungen einzelner Ökonomen aus den Vereinigten Staaten nach zusätzlichen fiskalischen Impulsen hierzulande sind fehl am Platz. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt Deutschland bezüglich fiskalpolitischer Maßnahmen in der europäischen Spitzengruppe. Überdies federn die hiesigen Sozialleistungen die Folgen der Rezession wesentlich besser ab als in den Vereinigten Staaten, dem Land, welches die Finanzkrise hauptsächlich zu verantworten hat. Vielleicht sollten jene Ökonomen bei der Erteilung von ansonsten willkommenen Ratschlägen mal eine Runde aus - setzen. Alles in allem gilt: Die Früchte der Reformpolitik nicht verspielen.