ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Prognosen"

Standpunkt

Die Zukunft ist nicht vorhersehbar. Gleichwohl schauen sich die Menschen die Wettervorhersage im Fernsehen an, erkundigen sich beim Arzt, wann sie wieder gesund werden, und befragen Ökonomen nach der voraussichtlichen Wirtschaftsentwicklung. In vielen Fällen liegen Meteorologen,Mediziner und Ökonomen mit ihren Prognosen gar nicht mal so falsch, indem das Ereignis, dem sie die höchste Eintrittswahrscheinlichkeit beimessen, tatsächlich so stattfindet. Aber eben nicht immer. Ein Hurrikan nimmt plötzlich eine andere Richtung, bei einer routinemäßigen Blinddarmoperation treten unversehens Komplikationen auf und der Ölpreis fährt Achterbahn. Dies widerspreche aller Erfahrung heißt es dann und das genau ist der springende Punkt.

Prognosen beruhen auf Erfahrungen. In der Ökonomie bedient man sich komplexer mathematischer Modelle, die das Verhalten der wirtschaftlichen Akteure widerspiegeln. Solche Modelle basieren auf theoretischen Überlegungen und deren empirischer Überprüfung, die jedoch nur anhand von bisherigen Beobachtungen vorgenommen werden kann. Das geht oft recht gut, versagt aber in der derzeitigen Situation. Zwei Aspekte machen zusammen die historische Einmaligkeit der jetzigen Rezession aus. Zum einen die Finanzkrise. Sie hat kaum historische Beispiele, denn selbst der Vergleich mit der Weltwirtschaftskrise ist untauglich. Seinerzeit haben Geld- und Finanzpolitik falsch agiert, die heutige Wirtschaftpolitik vermeidet die damaligen Fehler. Zum anderen zeichnen sich derzeit die Konjunkturen international betrachtet durch einen ziemlichen Gleichlauf aus. Das war früher meistens anders und daher wurde Deutschland in der Vergangenheit sehr häufig mit Hilfe seiner Exportaktivitäten aus wirtschaftlichen Schwächenphasen gezogen. Danach sieht es vor dem Hintergrund der weltweiten Rezession nicht aus. Was machen Meteorologen und Mediziner bei noch nie aufgetretenen Wetterkonstellationen beziehungsweise Krankheitsbildern? Sie schenken den Leuten meistens reinen Wein ein und sagen, dass sie nur Vermutungen äußern können. Das wird gemeinhin akzeptiert. Was tun Konjunkturanalysten? Eigentlich das gleiche, nur anders verpackt, indem sie unterschiedliche Szenarien ausrechnen und diese mit teilweise beträchtlichen Wahrscheinlichkeiten bemessen. Die Adressaten sind danach genauso ratlos wie vorher, nur auf einem höheren Niveau. Schlimmer noch, bestimmte Medien nehmen den ungünstigsten Prognosewert – denn bekanntlich sind nur schlechte Meldungen gute Nachrichten - und lassen die Eintrittswahrscheinlichkeit mehr oder weniger unter den Tisch fallen. Ebenso wenig hilft, wenn statt unterschiedlicher Szenarien die Prognosewerte mit Bandbreiten versehen werden. Aus einem Prognoseintervall von -0,5 bis -1,0 v. H. macht die Presse dann gerne -0,75 v. H., womit das Gegenteil dessen erreicht wird, was die Konjunkturanalysten beabsichtigen.Überhaupt nicht vermittelbar ist, dass bei Konjunkturprognosen -3/4 v. H. etwas anderes bedeutet als -0,75 v. H., abgesehen davon, dass der Setzer in der Zeitung Brüche überhaupt nicht mag. Anders als bei Meteorologen, aber wie bei Medizinern kann die Konjunkturprognose die spätere Entwicklung beeinflussen, so oder so. "Das wird böse enden", diese Aus sage wird Patienten entweder demoralisieren oder sie zu therapeutischen Gegenmaßnahmen anreizen. Ein verantwortungsvoller Arzt wird dies berücksichtigen. Das sollten Konjunkturprognostiker ebenfalls tun, also weder die Konjunktur kaputt reden, noch ungünstige Entwicklungen verschweigen. Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Entwicklung bietet es sich an, die Prognosefreudigkeit etwas zu zügeln, mehr auf qualitative Aussagen statt auf Zahlen zu setzen und eine vierteljährliche Konsensprognose im Rahmen der Gemeinschaftsdiagnose ohne zusätzliche individuelle Institutsprognosen zu erstellen. Aber ich habe natürlich leicht reden, denn das ZEW macht keine eigenen Konjunkturprognosen.