ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Marktwirtschaft"

Standpunkt

Die Krise auf den internationalen Finanzmärkten hat nicht nur immense direkte Kosten zur Folge, sondern bringt zudem eine Reihe von Kollateralschäden mit sich, wie unter anderem die zunehmend schwindende Akzeptanz eines marktwirtschaftlichen Systems. Schon seit geraumer Zeit verneint Umfragen zu Folge ein zunehmender Anteil der Bevölkerung die Frage, ob sich die Soziale Marktwirtschaft hierzulande bewährt habe. Denn die Soziale Marktwirtschaft sei mitverantwortlich dafür, dass die Geldgier der Finanzmarktakteure die Finanzwelt an den Abgrund geführt habe. Die Gewinne würden bei den Reichen privatisiert, die Verluste den Steuerzahlern aufgebürdet.

Als zweiter Vorwurf gegen die Marktwirtschaft wird angeführt, dass wirtschaftliche Erfolge nicht bei den Arbeitnehmern ankämen, sondern zu höherer Armut führten. Zunächst gilt es, bei der Finanzmarktkrise die Schuldzuweisungen zurechtzurücken. Bekanntlich liegt die Ursache der Finanzmarktkrise in den Vereinigten Staaten und dortiges Politikversagen spielt bei der Ursachenanalyse eine gewichtige Rolle. Die Geldpolitik der Fed war eindeutig viel zu expansiv und hat die Entwicklung der Immobilienpreisblase angefeuert. Ebenso wenig wie dieses geldpolitische Fehlverhalten kann der Marktwirtschaft angelastet werden, dass die staatliche Wirtschaftspolitik die staatsnahen Hypothekenbanken Fanny Mae und Freddy Mac nachdrücklich gedrängt hat, Kredite selbst an "Ninja-Haushalte" zu gewähren (Ninja: no income, no job, no assets). Auf dieses Politikversagen aufmerksam zu machen, bedeutet keinen Freispruch für Banker. Jedoch hat niemand im Ernst behauptet, die Akteure in einem marktwirtschaftlichen System seien gegen Irrtümer gefeit. Risikobehaftete Geschäfte können eben auch scheitern. Und was die dämonisierte Raffsucht der Bankmanager anbelangt - die Jagd der Kleinanleger nach hohen Renditen ist natürlich etwas Edles -, so sitzen auf Grund der Unternehmensmitbestimmung Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, welcher über die Vergütung der Vorstandsmitglieder befindet und allfällige Veränderungen vornehmen kann. Die beklagte, als unzureichend empfundene Teilhabe der Arbeitnehmer am zu Ende gegangenen Konjunkturaufschwung eignet sich ebenfalls nicht für einen Frontalangriff auf das hiesige marktwirtschaftliche System. Dass in der öffentlichen Diskussion mitunter suggeriert wird, rund ein Fünftel der Bevölkerung sei von Armut betroffen, grenzt an Volksverdummung. Die betreffenden Armutsfunktionäre verwenden nämlich mit Vorliebe relative Armutsmaße - mit der abenteuerlichen Konsequenz, dass die Armutsquote etwa in Entwicklungsländern niedrig ist, weil dort fast alle Bürger arm sind, wohingegen bei uns die Armutsquote unverändert bleibt, selbst wenn sich sämtliche Einkommen verdoppelten! Die Ursachen für die zunehmende Spreizung der Markteinkommen liegen in einem technischen Fortschritt, der insbesondere gering qualifizierte Arbeit freisetzt und in einer Internationalisierung der Güter- und Arbeitsmärkte. Die hiesigen Systeme der sozialen Sicherung sind jedoch ziemlich erfolgreich bei der Umverteilung von Einkommen. Des Weiteren entspricht es erklärten arbeitsmarktpolitischen Zielen, wenn gering qualifizierte Arbeitslose niedrig entlohnten Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt nachgehen und ihre Arbeitseinkommen mit Hilfe des Arbeitslosengelds II aufgestockt werden, sodass es zum Lebensunterhalt reicht. Die damit einhergehende Ausdifferenzierung der qualifikatorischen Lohnstruktur als Versagen eines marktwirtschaftlichen Systems zu brandmarken, ist abwegig. Und schließlich ist in diesem Zusammenhang wiederum Politikversagen zu konstatieren. Die Lohnpolitik hat in den vergangenen Jahren untere Lohngruppen überproportional begünstigt und die Sozialpolitik hat dafür gesorgt, dass für die Empfänger der seinerzeitigen Sozialhilfe eine Arbeitsaufnahme finanziell bestraft wurde.