ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Entfernungspauschale"

Standpunkt

In Sachen Entfernungspauschale ("Pendlerpauschale") hat nun das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort und wird voraussichtlich im Jahr 2008 entscheiden. Die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren bewogen im September dieses Jahres den Bundesfinanzhof, die Entscheidungen unterer Finanzgerichte zu bestätigen, wonach die Pauschale entgegen der gesetzlichen Regelung wie vorher als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden kann. Dieses Urteil des Bundesfinanzhofs ist aus mehreren Gründen kritisch einzuschätzen.

Seit dem 1. Januar 2007 ist die Entfernungspauschale schlicht abgeschafft und nicht etwa "gekürzt" worden. Die Möglichkeit, ab dem 21. Kilometer eine Entfernungspauschale in Höhe von 30 Cent je Entfernungskilometer geltend zu machen, ist eine Härtefallregelung – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese Härtefallregelung ist durchaus sinnvoll. Arbeitnehmer, Vermieter und Investoren haben bei ihren früheren Entscheidungen über die Wohnortwahl beziehungsweise Wohnungsbauinvestitionen die seinerzeit gültige steuerliche Regelung zugrunde gelegt und müssen ihre Überlegungen gegebenenfalls revidieren, was kurzfristig kaum oder nur unter erheblichen Aufwendungen möglich ist. Ihnen dafür eine Anpassungshilfe zu gewähren, die allerdings zeitlich befristet sein sollte, ist angemessen und vernünftig. Diesen Sachverhalt hätte der Bundesfinanzhof würdigen müssen. Stattdessen begründet der Bundesfinanzhof seine Entscheidung mit der Aussage, "wenn der Erwerbende sich nicht zu seiner Arbeitsstelle begibt, so verdient er auch nicht". Dieser Hinweis ist in seiner Trivialität schwer zu überbieten, taugt aber gleichwohl im vorliegenden Zusammenhang nichts. Denn die Leute müssen sich nicht nur zum Arbeitsplatz bewegen, sondern benötigen zudem Schlaf und Nahrung. Das wird wohl beim Bundesfinanzhof nicht anders sein. Das Pendant zur Pendlerpauschale wäre dann beispielsweise eine Schlafpauschale, um das Argument ad absurdum zu führen. Die Wohnortwahl des Arbeitnehmers ist sicherlich vielfach nicht unabhängig vom Standort seines Arbeitsplatzes, aber nicht ausschließlich davon bestimmt. Im Hinblick auf den Arbeitsplatz wird der Arbeitnehmer ökonomisch gesehen die Summe aus Mietkosten und Fahrtkosten minimieren. Das kann einen Wohnsitz in der Nähe seines Arbeitsplatzes zu hohen Mietkosten und geringen Fahrtkosten bedeuten oder das Gegenteil. Hinzu treten aber in der Regel weitere Motive einer Wohnsitzentscheidung, wie etwa die Präferenz für ein Wohnen in der Stadt oder auf dem Land, Wege zu Schule und Kindergarten, soziale Netzwerke etc. Dies ist der privaten Lebensführung zuzurechnen. Mit anderen Worten, die für die Ausübung der Berufstätigkeit entstehenden Kosten lassen sich von denen der privaten Lebensführung nicht eindeutig trennen. In diesem Fall verneint die Steuergesetzgebung indes eine steuerliche Geltendmachung solcher Kosten. Dies sollte konsequenterweise genauso für die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz gelten. Die frühere Entfernungspauschale stellte vor diesem Hintergrund eine ungerechtfertigte Steuererleichterung dar, und ihre Abschaffung war somit geboten. Dies gilt mittelfristig ebenfalls für die Härtefallregelung. Dass die Bundesregierung eine Änderung der Regelungen zur Entfernungspauschale erst einmal auf Eis gelegt hat und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten will, ist vernünftig. Zeitweilig diskutierte Pläne, die Pendlerpauschale wieder ab dem ersten Kilometer, dann aber nur mit 20 Cent pro Kilometer zu gewähren, würden den Fiskus gemäß Berechnungen von Gerhard Wagenhals rund 750 Millionen Euro kosten. Wenn dies aufkommensneutral erfolgen soll, müsste der Arbeitnehmerpauschbetrag auf 780 Euro sinken, wobei dann mehr als 20 Millionen "Verlierern" lediglich 8 Millionen "Gewinner" entgegenstünden, eine wahlpolitisch riskante Strategie.