Der Beitrag findet sich in der aktuellen Ausgabe der ZEWnews Juni 2005

Stahl Die Lohnpolitik schickt sich erneut an, zu früheren Untugenden zurückzukehren, wie der neue Tarifabschluss für die Stahlindustrie belegt. Dort wurden für die gesamte Laufzeit des Tarifvertrages (17 Monate) ein Anstieg der Tarifentgelte in Höhe von 3,5 v. H. sowie eine Einmalzahlung von 500 Euro vereinbart. Statt sich einer situationsgerechten, innovativen Gestaltung des Tarifvertrages zu bedienen, welche die Arbeitnehmer angemessen am derzeitigen Boom in der Stahlindustrie beteiligt, ist nunmehr die nächste Entlassungswelle vorprogrammiert. Dann tauchen wieder die Plakate "Stopp dem Arbeitsplatzabbau" auf, dann werden Unternehmen wieder eines ausbeuterischen und unpatriotischen Verhaltens bezichtigt, wenn sie Produktionsstätten ins Ausland verlagern, und dann sehen sich wieder einige Politiker bemüßigt, den Kapitalismus in seine Schranken zu verweisen. Denn die nächste Abkühlung der Stahlkonjunktur kommt gewiss. Länder wie China decken ihren Stahlbedarf in zunehmendem Umfang durch heimische Produktion, und ausländische Stahlproduzenten wie etwa in Russland und Brasilien gewinnen an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Die stürmische Nachfrageentwicklung schwindet hierzulande dahin, die hohen Arbeitskosten bleiben. Zum Teil mögen sie auf andere Branchen in Form von Preiserhöhungen überwälzt werden, sicherlich zur hellen Freude beispielsweise der Automobilindustrie ob des daraufhin einsetzenden Nachfrageschubs nach Autos. Dabei liegen adäquate Lösungen auf der Hand, die den berechtigten Anliegen der Beschäftigten in der Stahlindustrie Rechnung getragen hätten, nämlich am Unternehmenserfolg zu partizipieren. Vorschläge für solche Gewinnbeteiligungsmodelle finden sich zuhauf. Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sich dieses Themas des Öfteren in seinen Jahresgutachten bemächtigt. Die Tarifvertragsparteien hätten also das Rad nicht neu erfinden müssen, obwohl es ihnen selbstverständlich freigestanden hätte, eigene innovative Ideen tarifvertraglich umzusetzen. Davon war indes weit und breit nichts zu vernehmen. Erfolgsbeteiligungsmodelle weisen eine Reihe von Vorzügen auf. Sie erhöhen die Leistungsanreize und damit die Produktivität der Beschäftigten, die sich mehr mit den Zielen des Unternehmens identifizieren (und weniger mit Klassenkampfideologien). Sie mindern die Sorge der Gewerkschaftsfunktionäre, von ihren Mitgliedern eines zu moderaten Tariflohnabschlusses geziehen zu werden, falls sich die wirtschaftliche Lage später doch günstiger entwickelt als in den Tarifverhandlungen prognostiziert. Außerdem können zwischenbetriebliche Gewinndifferenzen in solchen Modellen stärkere Berücksichtigung finden als in herkömmlichen Tarifverträgen. Ein erfolgreiches Erfolgsbeteiligungsmodell setzt allerdings die Klärung einiger wichtiger und nicht ganz einfach zu behandelnder Aspekte voraus. Erstens muss das Verfahren zur Ermittlung des Unternehmenserfolges vorher festgelegt und transparent ausgestaltet sein, damit es später nicht zu Streitigkeiten kommt, weil sich die Arbeitnehmer über den Tisch gezogen fühlen, zu Recht oder zu Unrecht. Zweitens muss entschieden werden, ob die Bemessung des zu verteilenden Unternehmenserfolges für jeden Beschäftigten in Abhängigkeit der Höhe seines Arbeitsentgelts oder als Pauschalbetrag vorgenommen werden soll. Drittens muss darüber befunden werden, wie symmetrisch eine Erfolgsbeteiligung konzipiert sein soll, ob mithin die Arbeitnehmer ebenso an Verlusten partizipieren müssen. Dafür wird man schwerlich plädieren können, sodass sich im Gegenzug eine obere Begrenzung des Verteilungsvolumens anbietet. Die derzeitige Situation in der Stahlindustrie stellt ein Paradebeispiel für die Vorteilhaftigkeit eines Erfolgbeteiligungsmodells dar. Diese Chance wurde vertan. Die seitens des Bundespräsidenten zu Recht eingeforderte "Vorfahrt für Arbeit" findet, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat, bereits schon wieder an der nächsten Ampel ihr Ende. Diese steht auf Rot.