ZEW-Präsident Franz über Glaubwürdigkeit in der Praxis der Wirtschaftspolitik

Standpunkt

Der Beitrag findet sich in den ZEWnews November 2004

Die diesjährige Zuerkennung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften an Finn E. Kydland und Edward C. Prescott hebt die Bedeutung der Glaubwürdigkeit in der Praxis der Wirtschaftspolitik hervor. Diese Lektion muss angesichts vielfältiger Irritationen in der aktuellen Debatte, beispielsweise über Versuche, die Europäische Zentralbank (EZB) in irgendwelche "Dialoge" einzubinden, als besonders wichtig veranschlagt werden. Um die seinerzeitige Leistung der diesjährigen Nobel-Laureaten richtig verstehen und einordnen zu können, hilft ein kurzer Blick zurück, etwa auf den Beginn der Siebzigerjahre. Die damalige Analyse von Konjunktur und Wachstum hatte sich nahezu ausschließlich mit der Rolle der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (also Konsum, Investitionen, Staatsverbrauch, Exporte) als Antriebsmotor der Wirtschaftsentwicklung beschäftigt. Darin manifestierte sich die Botschaft von John M. Keynes auf der Grundlage seiner Erfahrungen in der Weltwirtschaftskrise, obwohl natürlich unbekannt ist, inwieweit Keynes mit den Einlassungen seiner Epigonen einverstanden gewesen wäre. Auf die hohe Bedeutung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage hinzuweisen, war nicht falsch, wohl aber, die Probleme einer auf ihre Steuerung ausgerichteten Stabilisierungspolitik sowie die mindestens ebenso große Relevanz der Angebotsseite weitgehend aus dem Blickfeld verloren zu haben. Denn die Beschäftigungsverluste in Folge einer angebotsseitigen Störung, etwa auf Grund eines Erdölpreisschocks, mit Hilfe einer expansiven Geld- und Fiskalpolitikbekämpfen zu wollen, schlägt fehl, es sei denn unter Inkaufnahme sich ständig aufschaukelnder Inflationsraten, wobei man letztlich gleichwohl mit höherer Arbeitslosigkeit und Inflation, also mit beiden Übeln, konfrontiert ist. Aber selbst eine Geldpolitik, die sich am Ziel der Preisniveaustabilität orientiert, kann wirkungslos bleiben, wenn sie nicht als glaubwürdig angesehen wird. Zwar mag sie selbst sehr ernsthaft eine stabilitätsorientierte Geldpolitik betreiben wollen, wenn die Unternehmen und die Lohnpolitik jedoch davon nicht überzeugt sind, dann werden sie mit steigenden Preisen rechnen und diese in ihren Plänen berücksichtigen, insbesondere dann, wenn sie in vergangenen Zeitperioden getäuscht wurden, weil die Geldpolitik ihr Stabilitätsversprechen gebrochen hat. Als Ergebnis resultieren aus einer nicht als glaubwürdig erachteten Geldpolitik dann wieder, wenn auch aus anderen Gründen, höhere Inflation und Arbeitslosigkeit. Zwei Wege bieten sich an, nicht in das Dilemma einer mangelnden Glaubwürdigkeit zu laufen: eine feste Regelbindung und eine Unabhängigkeit der geldpolitischen Institution. Wenn die Geldpolitik mit Hilfe einer auf absehbare Zeit unabänderlichen Formel für ihre Geldpolitik auf das Ziel der Geldwertstabilität fest verpflichtet wird, dann erhöht dies einerseits ihre Glaubwürdigkeit. Der Nachteil einer solchen Vorgehensweise ist andererseits, dass die Geldpolitik möglicherweise in das Prokrustesbett einer zu starren Regel gepresst und damit zu unflexibel wird, denn kaum eine Regel kann allen Eventualitäten Rechnung tragen. Der zweite Weg stellt daher die Unabhängigkeit einer auf Preisniveaustabilität unabdingbar verpflichteten Zentralbank in den Mittelpunkt, die selbstverständlich ihrer Geldpolitik eine transparente Orientierung gibt, also in erster Linie in Form einer vorgegebenen Geldmengenentwicklung. Mit Argwohn müssen daher Vorstöße betrachtet werden, welche letztlich darauf abzielen, die EZB in irgendeiner Form in makroökonomische Politiken einzubinden. Alarmierend erscheint die Formulierung, man wolle sich in Gesprächen gegenseitig "austauschen". Wenn das wörtlich gemeint ist: Wehret den Anfängen!