Wirtschaftspolitik aus erster Hand - ZEW-Präsident Clemens Fuest: "Die weichen Budgetrestriktionen der Eurozone untergraben jegliche Finanzdisziplin"

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Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ZEW, spricht bei der Vortragsreihe Wirtschaftspolitik aus erster Hand über die kommenden Herausforderungen für die Eurozone.

Die Staaten der Eurozone stehen derzeit vor einer kritischen, wegweisenden Entscheidung über die eigene Zukunft. "Die weichen Budgetrestriktionen der Eurozone untergraben jegliche Finanzdisziplin", so Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). "Uns droht die Finanzierung von Schulden durch die Notenpresse", fasste der Ökonom die drängenden Probleme des Europäischen Wirtschaftsraums zusammen. In seinem Vortrag "Die Europäische Währungsunion am Scheideweg", den er als Teil der Vortragsreihe "Wirtschaftspolitik aus erster Hand" am 29. Oktober 2015 am ZEW in Mannheim hielt, verdeutlichte Fuest, dass eine gemeinsame Haftung für Schulden nur mit einer gemeinsamen Kontrolle möglich sei - was kurzfristig allerdings eine Illusion bleiben muss.

Gibt es überhaupt eine Alternative zur momentanen Politik der Europäischen Zentralbank (EZB), unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen? Der von Europas Politikern favorisierte Weg laut dem sogenannten "Fünf-Präsidenten-Bericht" sei es jedenfalls nicht, befand Fuest. Zwar verlange der Plan mehr politische Koordination und Kontrolle der nationalen Politiken durch Brüssel sowie eine stärkere gemeinsame Haftung für Staatsschulden und finanzielle Transfers im Krisenfall, was im Grunde keine falschen Überlegungen seien. Nur: Der Plan habe einige entscheidende Schwächen, diagnostizierte der ZEW-Präsident.

So drohe bei der Implementierung des Plans ein massiver Verteilungskonflikt zwischen den Mitgliedsstaaten der Eurozone. Außerdem fehle es Brüssel an politischer Durchsetzungskraft und demokratischer Legitimation, um nationale Finanzpolitiken zu kontrollieren und zu koordinieren. "Ist gewährleistet, dass Gremien in Brüssel immer die beste Wirtschaftspolitik für ein Land erdenken?", warf  der Ökonom als Frage in den Raum. In Fuests Augen könnten unterschiedliche Länder verschiedene Ansätze in der Wirtschaftspolitik verfolgen, sollten aber selbst für die eingegangenen Risiken gerade stehen.

ZEW unterbreitet Vorschlag für eine Europäische Fiskalunion

Eine tragfähige Alternative zu den Maßnahmen des "Fünf-Präsidenten-Berichts" sei der vom ZEW erdachte Vorschlag einer Europäischen Fiskalunion. Die Blaupause umfasst konkret die effektivere Koordination der nationalen Fiskal- und Wirtschaftspolitiken auf europäischer Ebene, die Implementierung eines Insolvenzverfahrens für Staaten in der Eurozone inklusive Haftung für private Gläubiger sowie eine europäische Bankenunion und schließlich einen fiskalischen Stabilisierungsmechanismus, um asymmetrische Konjunkturschocks im Euroraum abzudämpfen. Die Umsetzung so umfangreicher Änderungen wäsre politisch jedoch enorm schwer durchzusetzen, befand Fuest.

Realistischer sei die Chance für einen "minimalinvasiven Eingriff": die Einführung sogenannter "Accountability Bonds", wie Fuest  sie mit ZEW-Kollegen entwickelt hat. Hierbei handelt es sich um nachrangige Staatsanleihen, die im Krisenfall zuerst ausfallen. Zudem dürfen Banken Accountability Bonds nur kaufen, wenn die Geldhäuser eine ausreichende Eigenkapitaldeckung vorweisen können. Die EZB habe auf den Kauf dieser Anleihen gänzlich zu verzichten, erklärte Fuest.

Staatsanleihen und Accountability Bonds sollen parallel existieren

Staaten müssten diese nachrangigen Anleihen emittieren, wenn ihr Defizit das mittelfristige Budgetziel eines quasi ausgeglichenen Staatshaushalts überschreitet und die staatliche Verschuldungsquote 60 Prozent des  Bruttoinlandsprodukts übersteigt. Vorherige Schulden könnten weiterhin mit klassischen Staatsanleihen finanziert werden. "Somit werden die Kosten überhöhter Verschuldung denjenigen angelastet, die sie verursachen", erklärte der ZEW-Präsident. Zwar würden Accountablity Bonds höhere Zinsen für die Schuldnerstaaten und ein größeres Risiko für die Investoren bedeuten. Dennoch zeigte sich Fuest optimistisch, dass eine Nachfrage für die nachrangigen Anleihen existieren würde: "Staaten die heute hoch verschuldet sind, müsste man in ein solches Modell hineinkaufen." Langfristig wären die Accountability Bonds allerdings ein Stabilitätsgewinn für die Eurozone.