Was kostet Europa die aggressive Steuerplanung von Unternehmen? - "Belastbare Zahlen zu Aufkommenseinbußen existieren nicht"

Nachgefragt

Prof. Dr. Christoph Spengel

Die Europäische Kommission hat der aggressiven Steuerplanung multinationaler Konzerne den Kampf angesagt. Mit ihrem Aktionsplan zur grundlegenden Reform der Unternehmensbesteuerung in der EU sollen Praktiken wie die zwar legale, jedoch unlautere Steuervermeidung von Großkonzernen unterbunden werden. Hat die Kommission damit das passende Instrument gefunden, um Gewinnverlagerungen im Keim zu ersticken und Steueroasen in Europa auszutrocknen? Prof. Dr. Christoph Spengel, ZEW Research Associate und Fachmann für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, argumentiert, dass die von der Kommission vorgeschlagene Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage für weniger Bürokratie, aber sicher mehr Transparenz sorgt.

Aggressive Steuerplanung ist nicht illegal, nutzt aber vorteilhafte Steuerregime, Schlupflöcher und Gesetzeslücken in nationalen Steuerrechtssystemen aus. Lässt sich beziffern, wie viel Geld den Staatskassen in der EU dadurch verloren geht?

Nein, wirklich belastbare Zahlen zu den Aufkommenseinbußen aus "aggressiver" Steuerplanung existieren nicht. Das ist ein gravierendes Problem in der anhaltenden Debatte, da die politischen Initiatoren innerhalb der G20, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der EU-Kommission keine konkreten Vorstellungen haben, um welche Dimensionen es wirklich geht. Es gilt einmal, Steuerplanung von Steuerhinterziehung zu unterscheiden, was einigermaßen möglich ist. Zum zweiten müsste aber auch getrennt werden zwischen "aggressiver" und "normaler" Steuerplanung, wobei letztere aus dem internationalen Steuergefälle resultiert. Diese Trennung wiederum ist schwierig. Unsere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass international verflochtene Konzerngesellschaften in Deutschland verglichen mit nicht konzernverbundenen Unternehmen rund neun Milliarden Euro weniger an Steuern bezahlen. Das bezieht sich allerdings auf die Steuerplanung insgesamt, schließt also "normale" Steuerplanung mit ein. Diese Zahl ist nicht nur gering, sondern sie kann auch nicht das Ausmaß "aggressiver" Steuerplanung beziffern. In Anbetracht dieser niedrigen Zahlen sollte die Politik zurückhaltender agieren.

Mit ihrem Aktionsplan will die EU-Kommission mehr Fairness und Effizienz bei der Unternehmensbesteuerung schaffen. Geht der Vorschlag für eine Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) in die gewünschte Richtung?

Eine GKKB begrenzt die Steuerplanung im herkömmlichen Sinne, weil sie das Konzernergebnis konsolidiert. Allerdings schließt die EU-Kommission eine Konsolidierung sowie eine daran anknüpfende formelhafte Gewinnzerlegung zum jetzigen Zeitpunkt aus. Stattdessen schlägt sie aus guten Gründen nur eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB), also eine ausschließliche Harmonisierung der Gewinnermittlungsvorschriften vor. Steuerplanung ist also weiterhin möglich.

Eine Regelung des Aktionsplans zielt zudem auf die effektive Besteuerung am Ort der Wertschöpfung ab. Beugt das fiskalischen Verlusten durch Gewinnverlagerungen vor?

Eine GKB ändert im Vergleich zum geltenden Recht nichts an dem Ort, an dem Unternehmensgewinne versteuert werden. Mit dem Ort der Wertschöpfung hat das bei heute vorherrschenden Konzernstrukturen beziehungsweise Geschäftsmodellen wenig zu tun. Eine GKKB mit Konsolidierung der Einzelgewinne und formelhafter Gewinnaufteilung käme diesem Anliegen deutlich näher.

Eine Schwierigkeit ist die heterogene Detailvielfalt der Steuerrechtssysteme in den EU-Mitgliedstaaten. Kommt die Kommission mit ihrem Plan den nationalen Gesetzgebern überhaupt entgegen oder wird hier ein bürokratisches Monstrum heraufbeschworen?

Eine GKB schafft kein bürokratisches Monstrum. Im Gegenteil: die GKB schafft mehr Transparenz für EU-weit tätige Unternehmen und senkt damit die steuerlichen Befolgungskosten. Zudem soll das System verpflichtend sein und könnte in Deutschland auch rechtsformübergreifend implementiert werden. All das wären bedeutsame Vorteile im Binnenmarkt.

Die Steuerhoheit in der EU liegt nach wie vor weitgehend auf nationalstaatlicher Ebene. Versucht die EU-Kommission mit ihrem Vorstoß, weitere Kompetenzen an sich zu ziehen?

Mit einer GKB verlieren die Mitgliedstaaten keine wesentlichen steuerlichen Kompetenzen. Die Vorschläge orientieren sich am geltenden Recht der Mitgliedstaaten, so dass die GKB aufkommensneutral eingeführt werden könnte. Außerdem verbliebe die wichtige Steuersatzhoheit bei den Mitgliedstaaten. Unsere Mannheimer Forschungsgruppe befürwortet seit langem einen solchen Harmonisierungsweg.