Angesichts der Schuldenkrise im Euroraum klagten in den vergangenen Wochen insbesondere Italien und Spanien darüber, dass sie trotz der in ihren Ländern eingeleiteten Reformen "untragbar" hohe Zinsen bei der allfälligen Refinanzierung ihrer Staatsverschuldung entrichten müssten. An die europäische Zentralbank (EZB) erging das Ersuchen, mit Hilfe von Aufkäufen von staatlichen Schuldentiteln eine "erträgliche" Zinsobergrenze für Staatsanleihen zu gewährleisten. Die EZB beabsichtigt, diesem Begehren insoweit nachzukommen, als sie solche Staatsanleihen ohne explizit veröffentlichtes Zinsziel kaufen will, sofern die betreffenden Länder unter Einschaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bestimmte Reformauflagen zu erfüllen versprechen.

Abgesehen davon, dass die EZB mit dieser Entscheidung zur Finanzierung von Staatsschulden einen ökonomisch höchst gefährlichen und juristisch äußerst fragwürdigen Weg einzuschlagen gedenkt, beschäftigt sich dieser Beitrag allein mit der Frage, wann die genannten Zinssätze für die Problemländer denn noch "tragbar" sind. Häufig ist die Argumentation zu hören, Italien etwa habe vor der Währungsunion mindestens ebenso hohe Zinsen zahlen müssen wie derzeit, also fehle es dem Lamento Italiens an Glaubwürdigkeit. So einfach ist die Sache allerdings nicht, wie das Einmaleins der Staatsverschuldung zeigt. Zunächst sollten Haushaltsdefizit und Schuldenstand eines Landes stets in Bezug zu dessen Bruttoinlandsprodukt gesetzt werden. Denn je größer das Bruttoinlandsprodukt, desto höher sind in der Regel die Steuereinnahmen und umso leichter fällt dem betreffenden Staat dann die die Bedienung seiner Schulden.

Des Weiteren ist zwischen den staatlichen Zinsausgaben und den Primärausgaben des Staats zu unterscheiden. Mit den Primärausgaben finanziert der Staat seine Kernaufgaben. Ein positiver Primärsaldo (die Einnahmen übersteigen die Primärausgaben) bedeutet, dass die Einnahmen ausreichen, um die Kernaufgaben zu finanzieren, und darüber hinaus noch ein Teil der Zinsausgaben gedeckt werden können. Wie hoch der positive Primärsaldo sein muss, um die Zinsausgaben voll finanzieren zu können, hängt offenkundig von der Höhe der Staatsverschuldung und von den darauf zu entrichtenden Zinsen ab, jedoch zugleich aus dem bereits erwähnten Grund von der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts.

Zwischen Primärsaldo und Schuldenstandsquote besteht ein formelmäßiger Zusammenhang, der sich an folgendem Beispiel verdeutlichen lässt. Unterstellt, ein Land wolle seine Schuldenstandsquote konstant halten, dann muss es einen Primärsaldo in Relation zum Bruttoinlandsprodukt aufweisen, welcher der Schuldenstandsquote multipliziert mit der Differenz zwischen Nominalzins und nominalem Wirtschaftswachstum entspricht. Die Schuldenstandsquote Italiens beträgt rund 120 v. H. Wenn die Finanzmärkte für italienische Staatsanleihen einen Zinssatz von sechs Prozent verlangen und Italiens Wirtschaftswachstum nominal drei v.H. beträgt, wäre für eine Stabilisierung der Schuldenstandsquote mithin ein Primärüberschuss von 3,6 v.H. des Bruttoinlandsprodukts notwendig. Bei einem Zinssatz von sieben Prozent stiege der erforderliche Primärüberschuss bereits auf 4,8 v.H. des Bruttoinlandsprodukts an.

Nun genügt es aber nicht, den Schuldenstand konstant zu halten, sondern der reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt verlangt dessen Rückführung um jährlich ein Zwanzigstel, bis die 60 v.H.-Grenze des Vertrags von Maastricht wieder erreicht wird. Dafür wäre im Beispiel Italiens bei einem Zinssatz von sieben Prozent und einem nominalen Wirtschaftswachstum in Höhe von drei v.H. nach Berechnungen des Sachverständigenrats in den ersten Jahren ein Primärüberschuss von etwa acht v.H. in Relation zum Bruttoinlandsprodukt erforderlich, bei einem Zinssatz von fünf Prozent etwas unter sechs v.H. Historisch gesehen haben es nur wenige Industrieländer geschafft, über längere Zeit einen Primärüberschuss von mehr als vier v.H. des Bruttoinlandsprodukts aufrecht zu erhalten.

Diese überschlägigen Schätzungen zeigen, dass ohne niedrigere Zinsen die Schuldenstandsquoten im Euro-Raum nur schwerlich wieder auf das Maastricht-Niveau zurückgeführt werden können. Wer also die Intervention der EZB zu Recht ablehnt, muss angesichts solcher Zahlen Alternativen aufzeigen. Vielleicht den Schuldentilgungspakt des Sachverständigenrates?