Die Sünden der Problemländer des Euro-Raums zu Recht an den Pranger zu stellen, ist weitaus beliebter als ihre Anstrengungen, auf den Pfad der finanzpolitischen Tugend zurückzukehren, zu würdigen. Diese Bemühungen können sich sehen lassen. Dazu hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem jüngsten Jahresgutachten Berechnungen veröffentlicht.

Als Grundlage dafür dient der um konjunkturelle Schwankungen bereinigte Finanzierungssaldo des jeweiligen Staates. Davon werden die staatlichen Zinsausgaben subtrahiert, weil höhere Zinsen den eigentlichen Konsolidierungsbemühungen ebenso entgegenwirken wie eine ungünstigere Konjunkturentwicklung. Dieser "konjunkturbereinigte Primärsaldo des Staates" wird ins Verhältnis zur Wirtschaftskraft des betreffenden Landes gesetzt, genauer: in Relation zum Produktionspotenzial. Der Betrachtung liegen die GIPS-Länder zugrunde, also Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, sowie Italien und außerdem zum Vergleich die Vereinigten Staaten als ein ebenfalls hoch verschuldetes Land.

Das Ergebnis ist bemerkenswert. Die GIPS-Länder haben ihren Primärsaldo im Durchschnitt von minus 9,3 v.H. im Jahr 2009 auf minus 1,7 v.H. im Jahr 2011 verringert, wobei die entsprechenden Zahlen für Griechenland minus 13,1 beziehungsweise minus 0,4 v.H. betragen. Überraschend mag die Entwicklung in Italien sein. Nicht nur hebt sich Italien mit einem positiven (!) Primärsaldo von den GIPS-Ländern ab, sondern dieser legte in dem genannten Zeitraum sogar noch von 0,9 v.H. auf 1,9 v.H. zu. Die Finanzmärkte haben diese Bemühungen unbeeindruckt gelassen, vielmehr haben sie diese Länder in Form von Zinsaufschlägen gnadenlos abgestraft.

Ganz anders stellt sich die Situation in den Vereinigten Staaten dar, dem Land, dessen Politiker nicht müde werden, den Regierungen des Euro-Raums wohlfeile Ratschläge zu erteilen. Der Primärsaldo der Vereinigten Staaten blieb zwischen den Jahren 2009 und 2011 mit minus 4,9 v.H. beziehungsweise minus 4,8 v.H. praktisch unverändert. Weit gefehlt, wer erwartet, dass die Finanzmärkte dieses Versäumnis nun erst recht abstrafen. Im Gegenteil, sie belohnen es durch niedrige Zinsaufschläge. Irrationale Finanzmärkte also?

Der Glaube an die Rationalität der Finanzmärkte mag in der jüngsten Vergangenheit gelitten haben, aber dass es den Problemländern bisher nicht gelungen ist, die Märkte zu überzeugen, dürfte mit erheblichen Strukturproblemen dieser Volkswirtschaften zusammenhängen, wie etwa hohen Schuldenstandsquoten, einer relativ zu den internationalen Wettbewerbern ungünstiger Erhöhung der Lohnstückkosten oder politischen Unwägbarkeiten in Form von Regierungskrisen. Dies belegt erneut, wie entscheidend Vertrauen erweckende nationale Anstrengungen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sind.

Der Vorrang solider staatlicher Finanzen und damit das unabdingbare Erfordernis eines diesbezüglich überzeugenden Konsolidierungskurses der Finanzpolitik in den Problemländern muss all den Leuten ins Stammbuch geschrieben werden, welche (stattdessen) die Europäische Zentralbank (EZB) in die Pflicht nehmen wollen. Konkret hieße das den Ankauf italienischer Staatsanleihen so lange, bis Rom deren Zinsniveau als erträglich ansieht. Von solchen Maßnahmen muss mit allem Nachdruck abgeraten werden. Eine Monetarisierung der Staatsverschuldung gehört nach aller historischer Erfahrung – nicht zuletzt in Deutschland – zu den Todsünden einer Zentralbank. Da helfen auch keine Beschwichtigungsversuche derart, dies solle nur vorübergehend und temporär geschehen und in schwierigen Zeiten müsse man hehre ordnungspolitische Prinzipien halt mal vergessen. Italien kann und muss sich erst einmal selbst helfen, es verfügt im Hinblick auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit über eine solide Ausgangsposition. Wenn Italien darüber hinaus einen überzeugenden nachhaltigen Konsolidierungskurs verfolgt, der überdies vom Internationalen Währungsfonds überwacht wird, und sich seine hohe Schuldenstandsquote von rund 120 v.H. in Relation zum Bruttoninlandsprodukt allmählich verringert, besteht eine realistische Chance, dass sich die Märkte beruhigen, ohne die EZB als "lender of last resort".