Dieser Beitrag ist in den ZEWnews, Dezember 2002, erschienen.

Super

Auf Schritt und Tritt begegnen wir Superstars und Superprodukten. Es gibt Superminister, Supersprecher, Superpräsidenten, ja (angeblich) sogar einen Superweisen. Aber das Ende der Fahnenstange muss deshalb noch lange nicht erreicht sein. Einige Autofahrer tanken Super plus und wir hören von einer Supernova. Das bietet doch weitere Perspektiven, von einem Super-GAU erst gar nicht zu reden. An Superlativen mangelt es im Koalitionsvertrag zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen vom 16. Oktober 2002 nun wirklich nicht. „Mit der vollständigen Umsetzung der Vorschläge der Kommission ‚Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt‘ beginnen wir die größte Arbeitsmarktreform der Nachkriegsgeschichte“.

Das ist ein Wort; vor allem wenn man den Satz wie geboten wörtlich nimmt, nämlich dass wir damit erst am Anfang durchgreifender Arbeitsmarktreformen stehen. Dabei kann die Bundesregierung auf vielfachen, indes nahezu einhelligen Rat zahlreicher in- und ausländischer Fachleute und Institutionen mit hoher Reputation zurückgreifen, sie braucht das Rad nicht neu zu erfinden. Auf die entsprechende Leistungsbilanz am Ende der Legislaturperiode darf man gespannt sein. Im übrigen sollte die Lohnpolitik folgende Erkenntnis im Koalitionsvertrag beherzigen: „Auch die Senkung der Lohnnebenkosten trägt zu mehr Wachstum und Beschäftigung bei“. Wohl wahr, aber das gilt auch für die Lohnkosten insgesamt. Arbeitskosten bleiben Arbeitskosten. Zur Bildungspolitik heißt es: „Wir wollen in zehn Jahren an der Spitze der Bildungsnationen stehen ...“ und weiter: „Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in den neuen Ländern wollen wir zu ‚Leuchttürmen‘ der Wissenschaft mit internationaler Ausstrahlungswirkung weiterentwickeln“.

Kleinmütig können diese Ziele der Bildungspolitik wirklich nicht genannt werden. Aber abgesehen davon, dass ein guter Teil der Bildungspolitik in den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer fällt, schweigt sich der Koalitionsvertrag weitgehend darüber aus, wie diese ehrgeizigen Zielvorgaben konkret erreicht werden sollen. Die Bildungspolitik wäre gut beraten, so weit wie möglich marktwirtschaftliche Instrumente zum Einsatz kommen zu lassen. Ein funktionstüchtiger Wettbewerb wird viele, obschon nicht alle Probleme lösen. Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen wäre dann ebenso entbehrlich wie die Kultusministerkonferenz.

Des Weiteren erfahren wir: „Unsere ehrgeizige Klimaschutzpolitik setzen wir fort. Wir wollen und wir werden Vorreiter in Europa und weltweit bleiben“. Hatten es die Koalitionsparteien nicht eine Nummer kleiner? Hoffentlich führt die Vorreiterrolle in der Klimapolitik nicht dazu, dass Deutschland dieselbe Führungsposition beim Abbau von Arbeitsplätzen einnimmt, weil die betroffenen Unternehmen mangels internationaler Wettbewerbsfähigkeit schließen müssen oder ihren Standort ins weniger ambitionierte Ausland verlegen. Nichts spricht gegen einen effektiven Klimaschutz, aber viel gegen Beschäftigungseinbußen, weshalb eine harmonisierte Klimaschutzpolitik zumindest innerhalb der EU als die bessere Alternative erscheint. Bei einigen Bekundungen des Koalitionsvertrags beschleicht so manchen Leser heitere Melancholie: „Unsere Finanzpolitik spielt eine wichtige Rolle für mehr Wachstum und Beschäftigung heute und trifft Vorsorge für morgen“. Einverstanden, die Steuerreform der letzten Legislaturperiode war – bei aller Detailkritik – ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Sie ist besser als ihr Ruf. Aber wie war das gleich: Rasen für die Rente (lies: Ökosteuer), Rauchen für die innere Sicherheit (lies: Tabaksteuererhöhung) und Sterben für die Bildung (geforderter Anstieg der Erbschaftsbesteuerung). Fiel das ebenfalls unter „Vorsorge für morgen“? Alles super – oder was?