Neuer EU-Finanzrahmen – Auf den Mehrwert kommt es an

ZEW Lunch Debate in Brüssel

Das Panel bei der ZEW Lunch Debate: Stefan Lehner, Petri Sarvamaa, Silke Wettach, Achim Wambach und Aart de Geus (v.l.n.r.).

Einen Diskussionsbeitrag zur Reform der Europäischen Union sowie zu den Verhandlungen über den anstehenden siebenjährigen EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 hat das ZEW mit seiner Lunch Debate „The EU Budget: How Europe Can Deliver“ am 24. Januar 2018 in Brüssel geleistet, die diesmal gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung ausgerichtet wurde. Die große Anzahl an Anmeldungen zu dieser Veranstaltung zeigt, dass das Thema einen Nerv getroffen hat.

In einer Keynote machte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger deutlich, dass er in der Ausgestaltung des neuen EU-Finanzrahmens die Möglichkeit sieht, eine Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen zu geben, denen sich die EU gegenübersieht. Dazu müssten allerdings auch manche Prioritäten neu gesetzt werden. Während im aktuellen Finanzrahmen der EU vor allem Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen im Mittelpunkt stünden, gehe es künftig unter anderem verstärkt um Sicherheitsfragen, den Schutz der EU-Außengrenzen, die Herausforderungen durch die Migration oder eine gemeinsame Verteidigung.

Der neue Haushalt müsse allerdings nicht nur die Finanzierung neuer Zielsetzungen sicherstellen, sondern auch eine Antwort auf die Einnahmenverluste durch den Brexit geben, machte Oettinger deutlich. Der Austritt Großbritanniens reiße ein Loch von zwölf bis vierzehn Milliarden Euro in die Kasse der EU. An wohlüberlegten Einsparungen auf der Ausgabenseite sowie einer Erhöhung der Beiträge der EU-Mitgliedstaaten auf der Einnahmenseite führe daher kein Weg vorbei. Genau aus diesem Grund müssten die Aufgaben, für die die EU Geld ausgebe, genau hinterfragt werden. Ein europäischer Mehrwert müsse jeweils sichtbar werden, will sagen, dass die EU künftig vor allem die Aufgaben übernehmen solle, die sie besser und effizienter zu lösen vermöge, als ihre einzelnen Mitgliedstaaten alleine.

Aufgabenfelder, bei denen ein solcher EU-Mehrwert zu erwarten ist, sind für Oettinger beispielsweise eine gemeinsame Verteidigung sowie eine effektive gemeinsame Überwachung der EU-Außengrenzen als Voraussetzung für Mobilität ohne entsprechende Kontrollen innerhalb der EU. Auch Projekte wie etwa das Satellitennavigationssystem Galileo auf dem Gebiet von Luft- und Raumfahrt schafften Mehrwert, erklärte Oettinger. Ein EU-Land alleine hätte ein solches Projekt ohnehin nie in Angriff genommen. Auch das Forschungsförderungsprogramm Horizon 2020 zählt Oettinger zu den Projekten mit Mehrwert. Kürzungen im neuen Haushalt bei diesem Programm gäben ein falsches Signal, sagte der EU-Kommissar.

ZEW-Studie zu Aufgabenfeldern mit europäischem Mehrwert

Oettinger räumte allerdings ein, dass die Gestaltung und letztliche Verabschiedung des neuen siebenjährigen Finanzrahmens eine große Herausforderung darstellt angesichts der Tatsache, dass der Finanzrahmen vom europäischen Parlament und allen 27 EU-Mitgliedstaaten verabschiedet werden muss. Dennoch sei es wichtig, den neuen Haushalt möglichst schnell in trockene Tücher zu bringen, denn bereits Mitte 2019 stehe die nächste Wahl zum Europäischen Parlament an. Könne man sich bis zu diesem Zeitpunkt über den neuen Finanzrahmen ab 2021 nicht einigen, drohe ein Zeitverlust bei der Umsetzung wichtiger neuer Ziele, den man sich eigentlich nicht leisten könne.

Den von Oettinger angesprochen „Mehrwert“ als Maßstab für die Entscheidung, ob eine Aufgabe oder ein Projekt künftig eher auf europäischer oder auf nationaler Ebene finanziert werden sollte, griff Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW, in seinem Vortrag auf. Er referierte die Ergebnisse einer Studie, die von ZEW und Bertelsmann Stiftung erarbeitet wurde, und die bei der Entscheidung, ob ein Aufgabenfeld europäischen Mehrwert hat oder nicht, Hilfestellung leisten soll.

Die Aufgabenverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten ist über Jahrzehnte gewachsen und ist somit nicht das Ergebnis von Überlegungen, ob eine Aufgabe besser auf europäischer oder auf nationaler Ebene gelöst werden kann. Genau hier sei ein Umdenken erforderlich, forderte Heinemann. Dieses sei mit Blick auf die Diskussion über einen europäischen Mehrwert jetzt in Gang gekommen. Vor diesem Hintergrund habe die Studie eine Auswahl von acht Politikfeldern dahingehend geprüft, ob eine gemeinsame Politik der EU auf dem jeweiligen Gebiet effizienter und damit kostengünstiger wäre oder eine eigenständige Politik der nationalen Einzelstaaten.

Es zeigt sich, dass die Politikfelder Verteidigung sowie Asyl- und Flüchtlingspolitik eindeutig in der Verantwortung der  europäischen Ebene liegen sollten. Und auch bei der Unternehmensbesteuerung und der Entwicklungshilfe sollte die EU größere Kompetenzen haben. In allen diesen Bereichen sei das nationale Nebeneinander eher hinderlich, wohingegen ein gemeinsames Auftreten gegenüber externen Partnern Vorteile bringe. Politikfelder wie die Agrarpolitik oder die Bildungspolitik dagegen seien unter Effizienzgesichtspunkten auf nationaler Ebene besser aufgehoben. Heinemann hält eine solche Prüfung von Politikfeldern für wichtig, weil auf diese Weise den Bürgerinnen und Bürgern innerhalb der EU deutlich gemacht werden könne, welchen Nutzen sie von der Union hätten und dass die aufgewendeten Gelder auch effizient und verantwortungsbewusst eingesetzt würden.

Podiumsdiskussion zur Gestaltung des Finanzrahmens

Zentrale Frage in der anschließend von Silke Wettach, EU-Korrespondentin der „Wirtschaftswoche“, moderierten Podiumsdiskussion war, welche außergewöhnlichen Umstände die anstehenden Verhandlungen über den nächsten EU-Finanzrahmen so besonders machen und was dies für Folgen haben könnte. Stefan Lehner, Direktor „Eigenmittel, Evaluierung und Finanzplanung“ der EU-Generaldirektion Haushalt, wies darauf hin, dass das Vereinigte Königreich, das bisher bei EU-Budgetverhandlungen immer eine prominente Rolle gespielt habe, diesmal nicht mehr mit im Boot sei. Spanien wiederum könnte erstmals in die Rolle eines Nettozahlers rutschen und es bestehe die Chance, dass Frankreich bei den Agrarsubventionen möglicherweise zu Zugeständnissen bereit sein könnte. Diese Faktoren zusammen mit Themen wie Sicherheit und Verteidigung, die deutlich an Gewicht gewonnen hätten, könnten evolutionäre Prozesse in Gang setzen. Nationale Interessen änderten sich zwar nicht über Nacht, seien aber auch nicht auf ewig in Stein gemeißelt. Veränderte Konstellationen bei den Beratungen seien diesmal daher durchaus denkbar.

Petri Sarvamaa, erster stellvertretender Vorsitzender im Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments, vertrat die Ansicht, dass bei der Gestaltung des neuen Haushalts unbedingt das Prinzip des europäischen Mehrwerts bei der Finanzierung von Aufgaben mit EU-Geldern beachtet werden müsse. Letztlich ließen sich nur so Einsparungen bei bisher von der EU finanzierten Aufgaben gut begründen und gleichzeitig höhere Beiträge der Mitgliedstaaten zur Finanzierung neuer wichtiger Aufgaben rechtfertigen. Als Aufgaben mit solchem europäischen Mehrwert bezeichnete er die Bekämpfung von Migrationsursachen durch eine Politik zur Entwicklung von Anrainerstaaten der EU insbesondere in Afrika, die Sicherung der EU-Außengrenzen, die öffentliche Beschaffung sowie Verteidigung und Sicherheit.

ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD griff das Thema des europäischen Mehrwerts auf und betonte die große Bedeutung dieses Selektionskriteriums für die Zuordnung von Aufgaben an die europäische oder nationale Ebene. Er fragte allerdings auch, ob alle Beteiligten und insbesondere auch die EU-Kommission, ihre Lektion aus der Kritik vieler Bürgerinnen und Bürger an der EU, aus dem Anwachsen nationalistischer Strömungen und auch aus dem Brexit, der als Warnsignal verstanden werden müsse, tatsächlich gelernt hätten. Denn es dürfe nicht darum gehen, vor allem mehr Geld in den Topf der EU zu bekommen. Vielmehr sei es wichtig, die Debatte über den europäischen Mehrwert weiter zu forcieren und Aufgaben und Maßnahmen dementsprechend zu analysieren und zu evaluieren.

Diesen Ansatz verstärkte Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung und ehemaliger niederländischer Minister für Arbeit und Soziales. Er befand, dass es derzeit tatsächlich ein Handlungsfenster gebe und damit eine einmalige Gelegenheit für die Politik, bisher für unabänderlich gehaltene Dinge zu ändern. Dafür brauche es allerdings belastbare Daten aus Studien, um die Bürgerinnen und Bürger von der Richtigkeit und dem Nutzen bestimmter Änderungen zu überzeugen. Denn letztlich brauchten in der Demokratie Änderungen entsprechende politische Mehrheiten. Daher müsse man mit guten Argumenten überzeugen, denn die Wählerinnen und Wähler erwarteten vor allem eines, nämlich dass Europa gute Ergebnisse liefere.

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