Es ist noch nicht sehr lange her, da erfreute sich die Europäische Zentralbank (EZB) großer Hochachtung auf Grund ihrer glaubwürdigen Unabhängigkeit und stabilitätsorientierten Geldpolitik. Nunmehr ist die EZB in schweres Fahrwasser geraten, weil eben diese Unabhängigkeit von der (Finanz-) Politik auf dem Spiel steht. Auf Befremden ist überdies ihre erbitterte Ablehnung einer Umschuldung griechischer Staatsanleihen und damit zusammenhängend ihr unverhältnismäßig starker Fokus auf die Urteile von Rating-Agenturen gestoßen.

Seit ihrer Entscheidung vom Mai 2010, griechische Staatsanleihen anzukaufen – ein solches Ansinnen hatte sie vorher brüsk zurückgewiesen –, bewegt sich die EZB auf gefährlich schwankendem Boden. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Politik mit dem Ankauf von Staatsanleihen Spaniens und Italiens seit Anfang August 2011. Insgesamt hat die EZB derzeit rund 115 Milliarden Euro an Staatspapieren aus diesen beiden Ländern sowie aus Griechenland, Irland und Portugal in ihren Büchern.

Die Kritik an diesen Ankäufen resultiert dabei nicht so sehr aus den Inflationsgefahren, welche eine entsprechende Ausweitung der Geldmenge für sich genommen zur Folge hätte. Denn gleichzeitig betrieb die EZB eine sterilisierende Geldpolitik, indem sie das durch die Anleihekäufe zusätzlich geschaffene Geld mit Hilfe von Ausleihungen bei den Geschäftsbanken dem monetären System wieder entzog. Im Mittelpunkt der Bedenken steht vielmehr, dass die EZB in eine Vernetzung mit der Finanzpolitik geraten ist. Die Finanzierung von Staatshaushalten gehört nach allen historischen Erfahrungen zu den Todsünden von Zentralbanken und die politische Unabhängigkeit stellt das wichtigste konstitutive Merkmal einer funktionstüchtigen Notenbank dar. Diesbezüglich hat die EZB mehr als kleine Schrammen bekommen. Konnten ihre Anleihekäufe vom Mai 2010 noch als Notfallmaßnahme in einer Ausnahmesituation gerechtfertigt werden, so gilt dieses Argument spätestens seit den Stützungsmaßnahmen für Italien nicht mehr. Die Risikozuschläge für Staatsanleihen sollen doch ein deutliches Signal für finanzpolitisches Fehlverhalten aussenden. Insoweit erfüllen die Finanzmärkte die ihnen eigentlich zugedachte Funktion. Klar, Italien müsste bei höheren Zinskosten finanzpolitisch den Gürtel noch enger schnallen. Aber zu ökonomischen Katastrophenszenarien besteht kaum Anlass, denn Italien zahlte vor der Währungsunion damals schon hohe Zinsen auf seine Staatsanleihen, ohne dass es untergegangen wäre.

Es kommt mithin darauf an, die EZB baldmöglichst von ihrer Rolle als – vielleicht unfreiwilligen – finanzpolitischen Ersatzspieler zu befreien, etwa indem der Stabilisierungsfonds EFSF die genannten Anleihebestände der EZB übernimmt.

Das Verhalten der EZB bei der Diskussion über eine Umschuldung griechischer Staatsanleihen wirft ebenfalls Fragen auf. Bekanntlich hatte die EZB angekündigt, griechische Staatsanleihen nicht länger als Sicherheiten zu akzeptieren, sobald die Rating-Agenturen im Zuge einer Beteiligung privater Gläubiger solche Papiere auf D („default“, also Zahlungsverzug) herabstufen. Zwar erklärte der Präsident der Deutschen Bundesbank,  grundsätzlich sei die Beteiligung privater Gläubiger sinnvoll und richtig, bei einer aufgezwungenen Umschuldung und einem damit ausgelösten Kreditereignis seien indes die Risiken auf Grund von Ansteckungseffekten größer als die Chancen.

Damit stellt sich die Frage, wieso die EZB in ihren Entscheidungen den Urteilen der Rating-Agenturen so viel Gewicht einräumt. Nicht zuletzt angesichts des Versagens dieser Institutionen bei der Bewertung strukturierter Wertpapiere zu Beginn der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 hätte die EZB sehr wohl ihre eigene Kompetenz bei der Einschätzung der Zahlungsfähigkeit stärker hervorheben können, so wie sie diese bei der  "Troika" aus EU, EZB und IWF bei der Evaluation Griechenlands eingebracht hat. Außerdem hat die EZB später Anleihen Portugals akzeptiert – trotz einer Herabstufung auf Ramsch-Niveau durch eine Rating-Agentur. Eine transparente und nachvollziehbare Strategie sieht anders aus.