Die internationale Besteuerung reformieren: Das Bohren dicker Bretter

Standpunkt

Die Besteuerung multinationaler Unternehmen ist kein Thema, das sich für Bierzeltreden eignet. Dazu ist es zu komplex. Trotzdem trägt die Politik es in die öffentliche Debatte. Die Regierungen Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens haben erklärt, es drohe eine Erosion der Steuereinnahmen, weil international tätige Unternehmen Steuern vermeiden. EU-Ratspräsident van Rompuy hat das Thema auf die Tagesordnung des nächsten EU-Gipfels im Mai gesetzt. Der französische Präsident François Hollande hat sogar angekündigt, er wolle Steueroasen "ausradieren".

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die Politik sich mit dem Problem der Steuervermeidung beschäftigt. Allerdings ist zu befürchten, dass dabei am Ende wenig mehr herauskommt als ein Schwarzer-Peter-Spiel, in dem die Politik versucht, die Verantwortung für desolate Staatsfinanzen auf andere abzuwälzen: In diesem Fall auf multinationale Unternehmen. Es ist durchaus richtig, dass Unternehmen systematisch Möglichkeiten zur Verringerung ihrer Steuerlast nutzen, wenn die Steuergesetze das erlauben. Es gibt auch eine Grauzone, in der die Grenzen zwischen legaler Steuervermeidung und illegaler Steuerhinterziehung verschwimmen. Und natürlich gibt es eindeutige Fälle von Steuerhinterziehung. Letzteres betrifft aber eher Privatleute als multinationale Firmen.

Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Gefahr der Doppelbesteuerung. Multinationale Unternehmen haben das Problem, dass stets mehrere Staaten ihre Gewinne besteuern wollen. Um das zu vermeiden, müssen sie sorgfältige Steuerplanung betreiben. Ein Beispiel ist die Zinsschranke, mit der Deutschland die Abzugsfähigkeit von Finanzierungskosten beschränkt. Multinationale Unternehmen, die ihre deutschen Aktivitäten mit Krediten von ausländischen Konzerngesellschaften finanzieren, müssen Zinsen in Deutschland dem steuerpflichtigen Gewinn hinzurechnen, gleichzeitig werden diese Zinsen im Ausland als Ertrag besteuert. Hinzu kommt, dass einige der Regierungen, die internationale Steuervermeidung anprangern, in ihren Steuersystemen Regelungen schaffen, die genau diese Steuervermeidung fördern. In Großbritannien ist beispielsweise am 1. April 2013 die sogenannte Patentbox in Kraft getreten.

Nach dieser Regelung werden Einnahmen aus Patenten durch einen reduzierten Gewinnsteuersatz in Höhe von zehn Prozent begünstigt. Dadurch werden Anreize geschaffen, steuerpflichtige Gewinne nach Großbritannien zu verlagern. Eine Reform des internationalen Steuersystems erfordert keineswegs nur eine Verschärfung der Besteuerung. Es geht darum, sowohl die Doppelbesteuerung als auch die Nichtbesteuerung zurückzudrängen. Das geht nur durch Handeln auf europäischer und internationaler Ebene. Vor allem muss die internationale Staatengemeinschaft sich einigen, ob und wie die Rechte zur Besteuerung der Gewinne multinationaler Firmen neu verteilt werden sollen.

Einen wichtigen Ansatzpunkt bieten Quellensteuern. Sie haben den Vorteil, dass sie die Verlagerung von Gewinnen in Niedrigsteuerländer deutlich erschweren. Derzeit setzen Doppelbesteuerungsabkommen und europäisches Recht diesem Instrument enge Grenzen. Diese Regeln zu ändern, ist aufwändig, aber nicht unmöglich. Die beteiligten Regierungen müssten dann allerdings zwei Dinge akzeptieren, die sie nicht mögen. Erstens gewinnen sie nicht nur Besteuerungsrechte, sie müssen auch verzichten. Wenn grenzüberschreitende Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren im Quellenland besteuert werden, können sie nicht erneut dort besteuert werden, wo sie ankommen. Deutschland beispielsweise müsste darauf verzichten, Einnahmen heimischer Unternehmen in Form von Zinsen und Lizenzgebühren aus dem Ausland zu besteuern. Zumindest müssten im Ausland gezahlte Steuern angerechnet werden. Zweitens verliert ein Land, das Quellensteuern erhebt, als Investitionsstandort an Attraktivität. Deshalb verzichten viele Staaten freiwillig auf diese Steuern.

Bei der Reform des internationalen Steuersystems helfen markige Worte und Schuldzuweisungen wenig. Fortschritte erfordern zähe Verhandlungen und das Bohren dicker Bretter. Man darf gespannt sein, ob die internationale Politik die dazu erforderliche Ausdauer und Kompromissbereitschaft aufbringt.