„Deutschland darf Chancen nicht verspielen“
VeranstaltungenVorsitzende der Wirtschaftsweisen präsentiert Jahresgutachten am ZEW
Damit die deutsche Wirtschaft nach zwei Jahren der Rezession wieder auf einen Wachstumspfad kommt, sei eine Steigerung der Produktivität erforderlich, insbesondere durch erhöhte Innovationen und Investitionen. Das erläuterte Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, im Rahmen ihrer Präsentation des Jahresgutachtens 2025/26 am ZEW in Mannheim. Vor rund 200 Gästen präsentierte sie am 8. Dezember 2025 im Rahmen der ZEW-Veranstaltungsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“ das bisher umfangreichste Gutachten des Sachverständigenrats und tauschte sich im Anschluss mit ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD darüber aus, vor welchen Herausforderungen der Wirtschaftsstandort Deutschland in den kommenden Jahren steht.
Das Gutachten sei deshalb so umfangreich wie seit Jahrzehnten nicht, begann Schnitzer ihren Vortrag, weil sich die deutsche Wirtschaft aktuell sehr schwer tue. Seit 2019 habe es kein Wachstum und in den vergangenen zwei Jahren sogar eine Rezession gegeben. Selbst wenn sich 2025 das Wirtschaftswachstum auf plus 0,2 Prozent drehe, sei das eigentlich eine Stagnation. Im gesamten Euroraum betrage das Wachstum 1,4 Prozent.
Prognostiziertes Wachstum kein Grund zur Freude
Für das kommende Jahr prognostiziere der Sachverständigenrat ein Wachstum von 0,9 Prozent. Das sei jedoch kein Grund zur Freude, da ein Drittel des Wachstums dem Kalendereffekt geschuldet sei: 2026 fallen viele Feiertage auf das Wochenende, sodass es weniger arbeitsfreie Tage gibt. Weitere 0,3 Prozentpunkte Wachstum kämen durch das Finanzpaket, das letzte Drittel entstünde durch die genuine wirtschaftliche Entwicklung.
Deutsche Produkte zu wenig innovativ
Ein Hauptproblem sei, dass die Exporte nicht auf die Weltkonjunktur reagierten. Negative Sondereffekte durch US-Zölle und stark steigende Exportpreise durch einen aufgewerteten Euro machen viele der deutschen Produkte nicht mehr konkurrenzfähig. Das liege nur bedingt an zu hohen Energie- und Arbeitskosten, sondern auch daran, dass zu wenig investiert wird, um neue Innovationen generieren zu können. Außerdem nutze man die Chancen des technologischen Wandels zu wenig, was sie am Beispiel der Verbrennermotoren deutlich machte. Mit Blick auf den europäischen Markt hob sie hervor, dass die dort geregelten Binnenzölle die Position der Unternehmen weiter schwäche.
Investitionen wachstumsfördernder als Konsum
Klar sei, dass in der Infrastruktur und bei der Verteidigung Deutschlands etwas passieren müsse. Das vom Bundestag verabschiedete Finanzpaket sei eine Chance, die aber nicht verspielt werden dürfe. Deshalb fordere der Sachverständigenrat, dass 85 Prozent des Pakets investiv ausgegeben werden müsse. Das verdoppele den Wachstumseffekt und hätte einen positiveren Effekt auf die Schuldenquote. Bei der Betrachtung der tatsächlichen und geplanten Ausgaben fiele aber auf, dass stattdessen vor allem konsumtive Ausgaben getätigt würden, für die die Wachstumseffekte überschaubar seien.
Nokia und Kodak als mahnendes Beispiel
In der anschließenden Diskussion mit ZEW-Präsident Achim Wambach betonte Monika Schnitzer, dass sich Deutschland nicht ausreichend auf den demografischen Wandel eingestellt habe und die Rentendiskussion in eine völlig falsche Richtung laufe. Auch Unternehmen müssten sich stärker auf den Strukturwandel einlassen, statt an Altbewährtem festzuhalten. Als mahnendes Beispiel nannte sie Nokia und Kodak, die, einst Weltmarktführer, in der Nische beziehungsweise ganz verschwunden waren. Dieses Schicksal könne der deutschen Autoindustrie auch blühen.
Aktuelle Erbschaftssteuer nicht verfassungsgemäß
Beim Thema Rente und Vererben stellte Wambach mit Blick auf die von Schnitzer vorgeschlagene stärkere Einbeziehung von Kapital in die Altersvorsorge, in Frage, ob hier nicht de facto über versteckte Steuererhöhungen gestritten werde. Zugleich hinterfragte er, ob höhere Erbschaftsteuersätze das Vererbungsverhalten tatsächlich veränderten und wie belastbar die dazu vorliegenden Studien seien. Monika Schnitzer betonte, dass es in ihrem Vorschlag nicht darum gehe, die Steuerquellen anzuzapfen, sondern dass die Erbschaftssteuer nicht verfassungsgemäß sei und durch sie Ungleichheit entstehe, was bei der Einkommenssteuer nicht der Fall sei. Eine höhere Erbschaftssteuer schrecke aus ihrer Sicht nicht ab, Vermögen für zukünftige Generationen aufzubauen. Investitionen in die Zukunft, in Altersvorsorge und in Bildung, beschäftigte auch die anschließende Fragerunde: ein Schüler des Mannheimer Bach-Gymnasiums, an dem auch Monika Schnitzer ihr Abitur gemacht hatte, wollte wissen, ob die private Altersvorsorge nicht attraktiver gemacht werden müsste. „Ja, unbedingt“, bestätigte sie.
Die nun schon fünfte Vorstellung eines Jahresgutachtens durch Monika Schnitzer am ZEW Mannheim fand mit freundlicher Unterstützung des ZEW-Förderkreises statt.