Brexit – „No deal“ ist keine Option

Standpunkt

Noch in diesem Spätjahr sollen die Details zum Brexit zwischen der Europäischen Union und Großbritannien ausgehandelt sein. Nur sieht es derzeit nicht unbedingt nach einer Einigung aus. Klarheit über die Details zu schaffen ist dringend erforderlich – die in Großbritannien lebenden Europäer, die in Europa lebenden Briten sowie die Unternehmen auf beiden Seiten des Kanals warten schon länger darauf.

Studien zeigen das wirtschaftliche Gefährdungspotenzial eines stärker reglementierten Handels zwischen Großbritannien und Europa. Für Großbritannien prognostizieren verschiedene Studien bei Szenarien vom weichen bis zum harten Brexit wirtschaftliche Einbußen in Form einer Reduktion des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von zirka 0,6 bis 7,5 Prozent bis 2030. Für Deutschland wird eine Reduktion des BIP von nur rund 0,1 bis 0,3 Prozent erwartet. Die doch relativ kleine Zahl überrascht nicht, da Großbritannien zwar der fünftgrößte Handelspartner Deutschlands ist, aber 2017 nur rund 6,6 Prozent der Exporte auf die Insel gingen. Die möglichen Verwerfungen in Nordirland sowie die menschlichen Schicksale bleiben in diesen quantitativen Studien unberücksichtigt.

Aus der Verhandlungsperspektive scheinen die EU-Staaten alles richtig gemacht zu haben. Sie haben die Verhandlung an die EU-Kommission delegiert, die wiederum Michel Barnier als EU-Chefunterhändler mit einem klaren Auftrag eingesetzt hat. Die Reihung der Themen der Verhandlungen – zuerst das Austrittsabkommen, dann die Vereinbarung über die zukünftige Zusammenarbeit – entspricht der Regel, dass zunächst das verhandelt werden soll, was einem selbst wichtig ist, dann das, was dem anderen wichtig ist. Auf die Art ist der andere eher bereit, sich im ersten Teil der Verhandlungen auf einen Deal einzulassen.

Schließlich wurde mit dem Slogan „Die vier Freiheiten der EU – freier Personenverkehr, Warenverkehr, Dienstleistungsverkehr und Kapitalverkehr – sind nicht verhandelbar“ die Verhandlungsstrategie „burning bridges“ verfolgt. Der Begriff geht zurück auf Hernán Cortés, der 1519 nach seiner Ankunft in Mexiko seine Schiffe verbrannte, um der eigenen Mannschaft und den Azteken zu verdeutlichen, dass es kein Zurück mehr gibt. Eine ähnliche Aussage kommt bei den vier Freiheiten zum Ausdruck – alle oder keine.

Man sagt gerne, dass bei Verhandlungen ein Kuchen geschaffen wird, der verteilt wird. Die Verhandlungsstrategien Delegation, Agenda Setting und Burning Bridges werden oft genutzt, um ein Verhandlungsergebnis zu eigenen Gunsten zu beeinflussen, also um ein größeres Stück vom Kuchen zu bekommen. Sie sind aber nicht hilfreich, wenn es darum geht, überhaupt ein Ergebnis zu erreichen. Im Gegenteil – die exzessive Verwendung dieser Strategien macht es wahrscheinlicher, dass Verhandlungen ohne Ergebnisse abgebrochen werden. Genau hier liegt das Risiko beim derzeitigen Stand der Brexit-Verhandlungen.

Man hätte zwar erwarten können, dass die Briten angesichts der doch starken ökonomischen Verwerfungen, die bei einer Nichteinigung drohen, diese Option fallen lassen. Doch wegen des Drucks der „Brexiteers“ ist die Nichteinigung mehr als nur eine Fiktion.

Ein Verhandlungsabbruch ohne Ergebnis würde Großbritannien und die EU noch weiter entzweien. Die EU-Staaten täten gut daran, es nicht so weit kommen zu lassen. Eine Anpassung der Verhandlungsstrategie ist daher angebracht. Die vier Freiheiten sind Teil der EU-Verträge, aber nicht bindend für internationale Verträge. Ökonomisch zwingend sind sie auch nicht. Und die Delegation der Verhandlung hat auch ihre Grenzen. Verantwortung für die Verhandlungsstrategie und das Verhandlungsergebnis haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder. Sie werden am Ergebnis gemessen werden.

Eine längere Fassung dieses Beitrags ist am 24. September in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen.