Devereux/Griffith-Modell

Instrumente zur Messung der effektiven Steuerbelastung von Unternehmen auf Basis der neoklassischen Investitionstheorie (King/Fullerton und Devereux/Griffith)

Neben dem European Tax Analyzer stehen am ZEW auch die Instrumente der neoklassischen Investitionstheorie zur Messung effektiver Steuerbelastungen zur Verfügung. Dabei handelt es sich zum einen um den seit 1984 international weithin anerkannten Ansatz der Ökonomen King und Fullerton und zum anderen um den darauf aufbauenden, 1999 veröffentlichten Ansatz der Ökonomen Devereux und Griffith.

In diese Modelle gehen die bedeutsamsten Vorschriften des nationalen Steuerrechts und der internationalen Doppelbesteuerungsabkommen ein. Diese umfassen insbesondere die Steuertarife von Ertrags- und Substanzsteuern auf Unternehmens- und Anteilseignerebene, Abschreibungsvorschriften, Regeln zur Bewertung von Vorräten sowie bei grenzüberschreitenden Investitionen die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und die relevanten Quellensteuerregelungen. Zudem werden die nationalen Regelungen zur Integration der Körperschaftsteuer in die Einkommensbesteuerung berücksichtigt.

Anhand der Ansätze auf Grundlage der neoklassischen Investitionstheorie lassen sich Kapitalkosten, effektive Grenzsteuersätze sowie effektive Durchschnittssteuersätze von Investitionsvorhaben unter bestehenden Steuersystemen und entsprechenden Reformszenarien beurteilen:

  • Kapitalkosten bezeichnen, welche Vorsteuerrendite eine Investition mindestens einbringen muss, damit sie von den Investoren noch verwirklicht wird.
  • Effektive Grenzsteuersätze bezeichnen die effektive Steuerbelastung marginaler Investitionen, die nur eine geringe Rendite aufweisen.
  • Effektive Durchschnittssteuersätze bezeichnen die effektive Steuerbelastung rentabler Investitionsobjekte.

Die Modelle unterstellen vor dem Hintergrund der Annahmen der neoklassischen Investitionstheorie eine zusätzliche Investition in einem Unternehmen und ermitteln, wie sich die ökonomischen Zielgrößen aus Sicht der Investoren, sprich die Kapitalwerte und die Renditen, aufgrund der Besteuerung verändern. Zur Ermittlung der Indikatoren der effektiven Steuerbelastung wird auf zweierlei Weise vorgegangen:

Ermittlung effektiver Grenzsteuerbelastungen

Bei der Ermittlung der effektiven Grenzsteuerbelastungen wird der Kapitalwert der untersuchten Investitionsvorhaben nach Steuern auf null gesetzt und die dazu notwendige Rendite, sprich die Kapitalkosten, errechnet. Unterstellt man fallende Grenzrenditen und beliebig teilbare Investitionen, so sollte der Kapitalstock eines Unternehmens so weit ausgedehnt werden, bis die letzte investierte Einheit gerade noch ihre Kapitalkosten erbringt und damit einen Kapitalwert von null erwirtschaftet.

Dies erlaubt erstens Aussagen über das optimale Investitionsvolumen, zum Beispiel an einem bestimmten Standort oder in einen bestimmten Investitionstyp. Je höher (niedriger) die Kapitalkosten sind, umso niedriger (höher) ist das theoretisch optimale Investitionsvolumen.

Zweitens lassen sich steuerliche Verzerrungen bei der Finanzierungsentscheidung untersuchen. Unterschiede in den Kapitalkosten deuten darauf hin, welcher der Finanzierungswege für das Unternehmen aus steuerlicher Sicht besonders günstig oder teuer ist.

Drittens können steuerlich bedingte Wettbewerbsverzerrungen analysiert werden: Die Kapitalkosten sind ein Indikator für die Preisuntergrenze eines Unternehmens am Absatzmarkt. Bedienen zwei unterschiedlich besteuerte Unternehmen denselben Markt, so kann das Unternehmen mit den niedrigeren das mit den höheren Kapitalkosten (theoretisch) aus dem Markt drängen, da es in der Lage ist, den Absatzpreis unter die Preisuntergrenze des anderen Unternehmens zu senken.

Ermittlung effektiver Durchschnittssteuerbelastungen

Zur Ermittlung effektiver Durchschnittssteuerbelastungen wird die Investitionsrendite vor Steuern für die Zusatzinvestition vorgegeben und davon ausgehend der nach Steuern verbleibende Kapitalwert berechnet. Das Unternehmen sollte die Investition verwirklichen, deren Kapitalwert durch die Besteuerung am wenigsten gekürzt wird. Existieren nur Investitionsmöglichkeiten mit negativen Kapitalwerten, so sollte eine Investition vollständig unterbleiben. Solche Entscheidungen betreffen die Auswahl eines aus mehreren potenziell rentablen (d.h., eine "ökonomische Rente", also einen positiven Kapitalwert erzeugenden), Investitionsprojekten, die sich gegenseitig ausschließen. Beispiele für solche Entscheidungen sind die internationale Standortwahl oder die Wahl einer aus mehreren möglichen Fertigungstechnologien.

Anhand dieser Ansätze werden am ZEW in enger Zusammenarbeit mit den Lehrstühlen für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre der Universität Mannheim (Prof. Dr. Ulrich Schreiber und Prof. Dr. Christoph Spengel) laufend Analysen zur Standortattraktivität, zur Investitionsfreundlichkeit sowie zur allgemeinen Systemhaftigkeit von bestehenden und vorgeschlagenen Steuersystemen vorgenommen. Beispielsweise besteht ein umfassender Forschungsauftrag der Europäischen Kommission, der eine regelmäßige Aktualisierung der Steuerbelastung in allen europäischen Staaten und zahlreichen außereuropäischen Standorten beinhaltet. Ähnliche Untersuchungen werden auch für das Schweizer Forschungsinstitut BAK Basel Economics durchgeführt, wobei hier die steuerliche Wettbewerbsfähigkeit Schweizer Kantone im internationalen Vergleich im Vordergrund steht. Darüber hinaus wurden in den vergangenen Jahren umfassende Forschungsaufträge zahlreicher anderer Auftraggeber durchgeführt.

Im Rahmen dieser Arbeiten wird das Instrumentarium sowohl konzeptionell als auch EDV-technisch, zum Teil im Rahmen internationaler Forschungskooperationen, stetig weiterentwickelt. So werden etwa neuartige steuerliche Entwicklungen (zum Beispiel IP Box Regime und Holdingsstrukturen) in das Modell implementiert. Die gewonnenen Ergebnisse eignen sich zudem auch als Datengrundlage empirischer Studien zu Steuerwirkungen im nationalen und internationalen Kontext. Die an den Projekten beteiligten Wissenschaftler haben seit 1999 daraus zahlreiche Publikationen entwickelt.

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