ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Koalitionsvertrag"

Standpunkt

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem neuesten Jahresgutachten den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP daraufhin überprüft, ob er den mannigfachen wirtschaftspolitischen Herausforderungen, vor denen die Bundesregierung in den nächsten Jahren steht, gerecht wird. Der Sachverständigenrat kommt zu dem Ergebnis, dass der Koalitionsvertrag trotz einer Reihe positiver Aspekte nur bedingt den Schluss zulässt, die Wirtschaftspolitik sei sich des Ausmaßes dieser Herausforderungen bewusst. Worin bestehen diese Herausforderungen und warum gelangt der Rat zu dieser Einschätzung?

Konkret muss es aus wirtschaftspolitischer Sicht in den nächsten Jahren darum gehen, erstens eine "Exit-Strategie" vorzubereiten und umzusetzen, welche mit den Hinterlassenschaften der Finanz- und Wirtschaftskrise aufräumt, ohne die konjunkturelle Stabilisierung zu gefährden. Diese Exit-Strategie muss die Finanzpolitik, die Finanzmarktstabilisierung und die Geldpolitik umfassen. Sie beinhaltet die Verringerung der staatlichen Neuverschuldung, die schrittweise Rückführung der Stützungsprogramme in der Realwirtschaft ebenso wie im Finanzsektor sowie die Abkehr von der unbegrenzten Liquiditätsversorgung durch die Zentralbanken. Diese Rückzugsstrategie muss zweitens mit Zukunftsinvestitionen verbunden werden, die verhindern, dass Deutschland dauerhaft auf einen niedrigeren Wachstumspfad einschwenkt. Zentrale Handlungsfelder sind in diesem Zusammenhang die Bildungs- und Innovationspolitik. Im Bildungsbereich muss vor allem einer wichtigen Erkenntnis der Bildungsökonomie gefolgt werden, wonach der Ertrag von Bildungsinvestitionen umso höher ausfällt, je früher im Lebenszyklus diese erfolgen. Neben der fragilen konjunkturellen Aufwärtsentwicklung stellen diese Anforderungen den Hintergrund dar, vor dem der Koalitionsvertrag zu beurteilen ist. Als positive Aspekte sind deren drei zu nennen. Der Koalitionsvertrag spricht bei der Reform der Finanzmarktordnung mehrere richtige Regulierungsmaßnahmen an, hätte indes auf die notwendige Verlagerung von Aufsichtskompetenzen auf die supranationale Ebene mehr Gewicht legen müssen. Bildung und Innovationen nehmen im Koalitionsvertrag zu Recht einen hohen Stellenwert ein, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Kompetenzen des Bundes im Bildungsbereich begrenzt sind. Gleichwohl hätte man sich eine konkret formulierte Bildungsoffensive gewünscht. Diesem Erfordernis ist der Sachverständigenrat mit einem diesbezüglichen Zehn-Punkte-Plan nachgekommen. Schließlich enthält der Koalitionsvertrag einige Maßnahmen, die der Verbesserung der Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland dienen, wie etwa Korrekturen bei der Unternehmensbesteuerung und Erleichterungen bei der Befristung von Arbeitsverträgen. Zwar wird ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn abgelehnt, jedoch von den mindestens ebenso bedenklichen branchenspezifischen Mindestlöhnen ist keine Rede. Vernichtend fällt das Urteil des Sachverständigenrates hinsichtlich der Ausführungen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte aus. Statt einer konsequenten Konsolidierungsstrategie, die ab dem Jahr 2011 einsetzen müsste, finden sich lediglich Ankündigungen, konkrete Angaben fehlen völlig. Schlimmer noch, ohne auf die Finanzierung einzugehen, werden zusätzliche steuerliche Entlastungen in einem Gesamtvolumen von 24 Milliarden Euro versprochen. Stattdessen ergeht sich der Koalitionsvertrag in Mutmaßungen, indem er suggeriert, der Konsolidierungsbedarf von 37 Milliarden Euro bis zum Beginn der Schuldenbremse beim Bund im Jahr 2016 erledige sich durch höheres Wirtschaftswachstum von selbst. Zwar erleichtert ein höheres Wachstum die Konsolidierungsaufgabe, kann sie aber keinesfalls lösen. Konsolidierung erfordert harte Einschnitte. Da alle im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen explizit unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden, müssen die in Aussicht gestellten Steuererleichterungen für geraume Zeit auf der Wunschliste bleiben. Kurzum es gilt, die Zukunft nicht aufs Spiel zu setzen.