ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Flashmobs"

Standpunkt

Hätten Sie nicht mal Lust, sich an einem Arbeitskampf aktiv zu beteiligen, obwohl Sie gar nicht betroffen sind? Ihr Wunsch kann in Erfüllung gehen. Das Bundesarbeitsgericht macht's möglich. Sie müssen ja nicht gleich Ihren Chef wie in Frankreich in Geiselhaft nehmen, nein, das Ganze veranstalten Sie mit Freunden und Bekannten im Supermarkt als Happening mit garantiertem Spaßfaktor.

Und das geht dann so. Im Dezember 2007 organisierte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Berlin-Brandenburg während eines von ihr dort geführten Streiks eine Aktion per Internet und Handy, als deren Ergebnis fast 50 Personen überraschend eine Einzelhandelsfiliale aufsuchten, dort mit Waren vollgepackte Einkaufswagen zurückließen und durch den koordinierten Kauf von "Pfennig-Artikeln" riesige Warteschlangen an den Kassen verursachten. Eine Teilnehmerin begab sich dem Vernehmen nach mit einem solchermaßen gefüllten Wagen an die Kasse, ließ die Waren im Wert von 371,78 Euro eingeben und entschwand dann grinsend und unter dem Gejohle der anderen Teilnehmer der Aktion mit der Bemerkung, sie habe ihr Geld vergessen. Flashmobs nennt man so etwas. Nota bene: Eine Gewerkschaftszugehörigkeit stellte dafür keine Voraussetzung dar. Der gesunde Menschenverstand denkt bei solchen Handlungen an das Strafgesetzbuch, also etwa an Sachbeschädigung (§ 303) oder Nötigung (§ 240). Nicht so das Bundesarbeitsgericht. Zwar konzediert es in seinem Urteil vom 22. September 2009 (Aktenzeichen: 1 AZR 972/08), dass eine derartige Flashmob-Aktion in den Gewerbebetrieb des Arbeitgebers eingreife. Dies falle indes unter die durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz gewährte Wahl der Arbeitskampfmittel seitens der Gewerkschaften und sei gerechtfertigt, denn – und jetzt kommt es – gegenüber einer Flashmob- Aktion im Einzelhandel "kann sich der Arbeitgeber durch die Ausübung seines Hausrechts oder eine kurzfristige Betriebsschließung zur Wehr setzten" (Pressemitteilung 95/09 des Bundesarbeitsgerichts). Mit dieser Begründung wurde die Klage des Arbeitgeberverbands abgewiesen. Die in diesen Argumenten zum Ausdruck kommende Realitätsferne des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts ist schwer zu überbieten. Wären Flashmobs nicht so ernst, eigneten sie sich selbst bei mäßiger Phantasie vorzüglich als Lachplatte. Aber leider stellt dieses Urteil keinen Ausrutscher dar. Vielmehr überbietet es das als bisherigen Tiefpunkt in der jüngeren Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts angesehene Urteil zu Sympathie streiks, bei denen die Arbeitnehmer nicht für einen eigenen Tarifvertrag streiken, sondern ihre Solidarität für einen anderen Arbeitskampf zum Ausdruck bringen. Der sympathie-bestreikte Arbeitgeber hat keine Möglichkeit, den Streik durch eigene Zugeständnisse abzuwenden, er wird praktisch als Geisel genommen. Das Bundesarbeitgericht ficht dies nicht an. Es erklärte Sympathiestreiks für rechtens und verletzt damit eklatant das von ihm ebenfalls vertretene Ultima-Ratio-Prinzip, wonach Arbeitskampfmaßnahmen erst dann zulässig sind, wenn zuvor alle zumutbaren Möglichkeiten einer friedlichen Einigung ausgeschöpft sind. Nach eigenen Bekundungen möchte die oberste Arbeitsgerichtsbarkeit die Arbeitnehmer schützen. Dieses Bemühen stellt sich vom Grundsatz her gesehen als lobenswert dar. Angesichts der oben dargestellten und weiteren Entgleisungen erhebt sich allerdings die Frage, wer die Unternehmen vor den juristischen Übergriffen des Bundesarbeitsgerichts schützt. Das Arbeitsrecht ist mittlerweile zu einem Rechtsraum heruntergekommen, in dem die Rechtssprechung über die Normzwecke des Gesetzgebers hinaus fragwürdige Klarstellungen und Weiterentwicklungen durch Urteile vorgenommen hat, die im juristischen Schrifttum ebenfalls auf Kritik und Ablehnung stoßen. Man kann es drehen und wenden wie man will: Hier hilft nur ein Arbeitskampfgesetz, dessen Erstellung der Gesetzgeber jedoch fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb ist davon keine Rede.