Inwieweit der Einzug Griechenlands ins Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft 2012 das griechische Wahlvolk beflügelt haben mag, ist unbekannt. Jedenfalls verschafft der Ausgang der Wahlen vom 17. Juni eine Atempause, die nun genutzt werden muss.

Nachdem in Griechenland eine anscheinend handlungsfähige Regierung gebildet wurde, prüft nun die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) erneut die Umsetzung des vertraglich vereinbarten Programms, und danach entscheiden die europäischen Regierungschefs über das weitere Vorgehen. Damit stellen sich zumindest die drei folgenden Fragen. Wie sind die bisherigen Anstrengungen Griechenlands bei Einsparungen und Wirtschaftsreformen zu bewerten? Inwieweit besteht ein Spielraum für Nachverhandlungen des Anpassungsprogramms für Griechenland? Wäre ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion das kleinere Übel? Die außerordentlich kontroverse und leidenschaftlich geführte Diskussion über diese Aspekte belegt bereits, um welch schwierige Materie es sich dabei handelt.

Griechenlands Fortschritte bei der Sanierung seiner öffentlichen Finanzen widersprechen vielfach geäußerten Wahrnehmungen. In den Jahren 2009 bis 2011 hat sich das Finanzierungsdefizit des griechischen Staates in Relation zum Bruttoinlandsprodukt um rund sieben Prozentpunkte verringert. Wenn dezidiert die Konsolidierungsanstrengungen selbst und deren Erfolg zur Rede stehen, empfiehlt es sich, das konjunkturbereinigte Defizit ohne staatliche Zinszahlungen als Messlatte zu verwenden. Dessen Rückführung beläuft sich in dem genannten Zeitraum auf rund zwölf Prozentpunkte. Dieser Erfolg sollte nicht klein geschrieben werden, vor allem wenn man sich vorstellt, welche öffentlichen Erregungswellen Deutschland bei ähnlichen Konsolidierungsanstrengungen erschüttern würden. Schon das Problemchen vor zwei Jahren, ob die Empfänger von Arbeitslosengeld II fünf Euro monatlich mehr erhalten, führte hierzulande zu einem mittleren Erdbeben. Im Zusammenhang mit dem Anpassungsprogramm zur Stärkung der griechischen Wettbewerbsfähigkeit sei außerdem daran erinnert, welch quälend langwieriger Prozess hierzulande der Agenda 2010 vorausging. Die Troika wird im Einzelnen beurteilen, inwieweit Griechenland bei der Implementierung eines funktionstüchtigen Steuersystem und der Flexibilisierung seiner Gütermärkte und Arbeitsmärkte vorangekommen ist. Allem Anschein nach hinkt Griechenland hier beträchtlich hinterher.

Wenn die neue griechische Regierung bei diesen Strukturmaßnahmen, deren fiskalische Kosten vergleichsweise gering sein dürften, glaubwürdig und beherzt vorankommt, dann könnte die EU Griechenland bei der Haushaltskonsolidierung etwas mehr Zeit einräumen. Denn die seinerzeitigen Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung Griechenlands waren unrealistisch optimistisch und die Abwärtsspirale aus Konsolidierung und Rezession noch zu verstärken, wäre ökonomisch unvernünftig und politisch höchst brisant. Die erschreckend hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit birgt schon jetzt sozialen Sprengstoff.

Ein Austritt aus der Währungsunion ("Grexit") hätte für Griechenland verheerende Folgen und kostete die übrigen Euro-Länder sehr viel Geld. Nach Schätzungen fiele das griechische Bruttoinlandsprodukt mindestens um weitere 20 Prozent, Inflation und Arbeitslosigkeit stiegen um jeweils rund 30 Prozent. Zwar wertete eine neue Drachme beträchtlich ab, jedoch dürfte eine daraufhin wohl unweigerlich einsetzende Lohn-Preis-Spirale den abwertungsbedingten internationalen Wettbewerbsvorteil alsbald reduzieren. Außerdem wird Europa Griechenland nicht einfach seinem Schicksal überlassen, sondern aus guten Gründen weiterhin helfen wollen, denn Europa ist bis zu einem gewissen Grad eine Solidargemeinschaft. Die Kosten eines Austritts Griechenlands sind für die Euro-Zone ebenfalls immens, nämlich unter anderem in Form von Abschreibungen bei den (Target-)Verbindlichkeiten Griechenlands und bei griechischen Staatsanleihen im Besitz europäischer Banken. Mindestens ebenso gravierend wiegen mögliche Ansteckungseffekte auf Spanien und Italien mit schwer kalkulierbaren Konsequenzen. So teuer es wird, der Verbleib Griechenlands in der Währungsunion stellt sich mithin wohl als die etwas weniger riskante Option dar.