100 Tage nach dem Antritt einer Regierung ist es üblich, Bilanz zu ziehen. Wie ist der Start der Großen Koalition in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu beurteilen? Die erste wichtige Entscheidung war das Paket aus Rente mit 63 und Mütterrente. Die Mütter besser zu stellen, ist vertretbar. Aber das hätte durch Versicherte ohne Kinder finanziert werden müssen, statt die Lasten in die Zukunft zu verschieben. Schlimmer ist die Rente mit 63. Deutschland braucht Reformen, die dafür sorgen, dass wir länger arbeiten und dass mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Außerdem müssen die Renten sinken und verstärkt durch private Ersparnis ergänzt werden. Die Rente mit 63 erreicht das Gegenteil. Sie steigert die Ausgaben für Renten und bewirkt, dass viele Arbeitnehmer früher ausscheiden, folglich werden auch die Einnahmen der Rentenversicherung sinken. Ein Schildbürgerstreich, dessen negative Folgen künftige Beitragszahler und Rentenempfänger schmerzhaft spüren werden.

Das zweite Projekt der Großen Koalition ist der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn. Dieser Mindestlohn ist ein Fehler, weil er Menschen aus dem Arbeitsmarkt drängen wird, statt sie zu integrieren. Der Schaden kann allerdings begrenzt werden, wenn es für am Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppen Ausnahmeregelungen gibt – dazu gehören Jugendliche, vor allem die ohne Berufsausbildung, aber auch ältere Arbeitnehmer sowie Langzeitarbeitslose. Außerdem sollte der Mindestlohn regional differenziert werden – 8,50 Euro entfalten in München vermutlich weniger gravierende Wirkungen als in Cottbus. Leider zeichnet sich ab, dass es kaum Ausnahmen geben wird.

Das dritte und wichtigste Vorhaben der großen Koalition ist die Umsetzung der Energiewende. Den Verbrauch fossiler Energien nachhaltig zu senken, auf die Atomenergie zu verzichten und all das durch erneuerbare Energien zu ersetzen, ist eine große Herausforderung. Deutschland ist ein Industrieland und steht mit anderen Ländern im Wettbewerb um Investitionen und Arbeitsplätze. Unternehmen brauchen bezahlbare Energie, ebenso wie die privaten Haushalte. Die Energiepolitik sollte Marktkräfte und unternehmerisches Innovationspotential für die Ziele der Energiewende mobilisieren. Bislang müssen die Produzenten der erneuerbaren Energien sich keine Gedanken darüber machen, ob sie den Strom zur richtigen Zeit und am richtigen Ort produzieren – die Vergütung, die sie erhalten, hängt nicht von den Bedürfnissen der Stromkunden ab. Das muss sich ändern. Außerdem sollten die erneuerbaren Energien untereinander konkurrieren – wenn Windenergie in Deutschland wirtschaftlicher als Solarenergie ist, muss das zur Folge haben, dass Windenergie sich auch durchsetzen kann. Dafür müssten die aktuellen Einspeisevergütungen durch eine Marktprämie ersetzt werden, die den Strom aus allen erneuerbaren Energiequellen einheitlich fördert. Das energiepolitische Konzept der Bundesregierung leistet all dies nicht. Es enthält zwar einige zarte Ansätze für mehr Markt und Wettbewerb, beispielsweise die Idee, die die Energieerzeuger durch Direktvermarktung dazu zu bringen, kundengerechter anzubieten. Diese Instrumente werden aber zu zögerlich eingeführt, es wird zu sehr auf einen planwirtschaftlichen Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt.

Damit scheint es, als sei der einzige vorzeigbare Erfolg der Großen Koalition bislang die Ankündigung, im Jahr 2015 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Wenn es dazu kommt, wäre das in der Tat erfreulich. Allerdings sah die Finanzplanung der vorangehenden Bundesregierung noch vor, ab 2015 sogar Schulden zu tilgen. Nun hat man entschieden, mehr Geld auszugeben. In Zeiten guter Konjunktur mehr Geld auszugeben, statt es für schlechtere Zeiten zurückzulegen, ist ein finanzpolitischer Fehler, der offenbar nicht aus der Welt zu schaffen ist.

Insgesamt ist die Bilanz der großen Koalition nach 100 Tagen also bescheiden. Während Deutschland in Europa mehr Wettbewerbsfähigkeit und fiskalische Disziplin verlangt, werden zu Hause Wahlgeschenke verteilt und notwendige Reformen auf die lange Bank geschoben. Nach 100 Tagen Amtszeit ist es jedoch noch nicht zu spät, um aufzuwachen und umzusteuern – auf die nächste Krise sollte man hierzu besser nicht warten.