Direkte Demokratie in Deutschland - Bürgerentscheide wirken "ansteckend" auf Nachbargemeinden

Forschung

Ob es zu Bürgerbegehren in einer Gemeinde kommt, hängt auch von der Einwohnerzahl, dem Alter und davon ab, wo die Wähler politisch stehen.

Instrumente direkter Demokratie wie Bürgerbegehren oder Bürgerentscheide beeinflussen auf kommunaler Ebene benachbarte Gemeinden: Führt eine Gemeinde in Deutschland einen Bürgerentscheid durch, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass auch umliegende Gemeinden davon Gebrauch machen, belegt eine aktuelle Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).

Erstmals betrachtet die Untersuchung Interaktionen innerhalb politischer Systeme, in denen die Bürgerinnen und Bürger kommunale Entscheidungen direkt und bindend beeinflussen können. Dabei wird für Deutschland analysiert, ob Bürgerbegehren und -entscheide auf direktdemokratische Aktivitäten in benachbarten Gemeinden ausstrahlen. Als benachbarte Gemeinden werden diejenigen Gemeinden bezeichnet, deren Grenzen nicht weiter als 50 Kilometer entfernt sind. Die Wissenschaftler haben dafür mehr als 11.000 Gemeinden aller deutschen Bundesländer mit Ausnahme von Berlin und Hamburg in den Jahren 2002 bis 2009 betrachtet.

Wie sich zeigt, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerbegehrens signifikant, wenn in einer benachbarten Gemeinde ein Bürgerbegehren stattgefunden hat. Weiterhin ist die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerbegehrens größer in Gemeinden mit hoher Einwohnerzahl, einem hohen Anteil an Einwohnern, die älter als 65 Jahre sind, und einem hohen Anteil von Wählern, die dem linken Parteienspektrum zugeordnet werden können.

In einem weiteren Schritt wurde der Effekt von Bürgerentscheiden betrachtet. "Bürgerentscheide ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich als Bürgerbegehren und erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer direktdemokratischen Initiative in Nachbargemeinden stärker als ‚einfache‘ Bürgerbegehren", erläutert Frank Streif, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich "Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft" und Mitautor der Studie.

Informationen durch Medien scheinen dabei eine wichtige Rolle zu spielen. "In Gemeinden mit überdurchschnittlich vielen Haushalten, die regionale Tageszeitungen lesen, sind die Auswirkungen von Bürgerentscheiden benachbarter Gemeinden besonders groß", so Streif weiter. Prominentes Beispiel sind etwa die Bürgerbegehren im Zuge des Bahnprojekts "Stuttgart 21", die weitere Bürgerbegehren im Umland inspiriert haben.

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Frank Streif, Telefon 0621/1235-398, E-Mail streif@zew.de