Im Rahmen des auf dem EU-Gipfel Ende Januar 2012 beschlossenen Fiskalpakts wollen 25 EU-Staaten nationale Schuldenbremsen gesetzlich verankern. Als Orientierungshilfe für deren Ausgestaltung dienen dabei häufig die Schuldenregeln in Deutschland und in der Schweiz. Damit erhebt sich die Frage, wie effektiv die hiesige Schuldenregel potenzielle Schlupflöcher vermeidet und wie weit ihre Umsetzung gediehen ist. Dabei sind Bund und Länder getrennt zu behandeln.

Die Schuldenregel sieht gemäß Artikel 109 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern "grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten" auszugleichen sind. Für den Bund gilt diese Vorgabe als erfüllt, wenn ab dem Jahr 2016 die Kreditaufnahme einen Wert von 0,35 v.H. in Relation zum Bruttoinlandsprodukt nicht übersteigt (Artikel 115 Absatz 2). Für den Bund bedeutet die Einschränkung "grundsätzlich", dass im Wesentlichen drei qualifizierende Regelungen zu beachten sind.

Erstens beziehen sich die Verschuldungsregeln auf eine "strukturelle", also auf eine von der konjunkturellen Situation unabhängige Kreditaufnahme. Konjunkturbedingte Defizite sind mithin zulässig, engen indes im Konjunkturaufschwung den Spielraum für die öffentliche Kreditaufnahme symmetrisch ein. Das Konjunkturbereinigungsverfahren für den Bund folgt der von der EU-Kommission angewandten Methodik. Eine zweite Ausnahme hat "Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen" (Artikel 115 Absatz 2 GG) zum Gegenstand. Ein gleichzeitig vorzulegender Tilgungsplan hat sicherzustellen, dass die zusätzliche Verschuldung "binnen eines angemessenen Zeitraums" zurückgeführt wird. Was "angemessen" bedeutet, wird jedoch leider nicht konkretisiert. Die dritte Ausnahme hat Prognosefehler bei der Haushaltsaufstellung zum Inhalt. Diesbezügliche Salden müssen auf einem Kontrollkonto verbucht werden, wobei es Obergrenzen gibt, deren Überschreiten eine Rückführungspflicht des übermäßigen Defizits auslöst.

Insgesamt gesehen bietet diese im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse für den Bund hinreichend Gewähr für finanzpolitische Solidität. Allerdings hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf ein potenzielles Schlupfloch aufmerksam gemacht. Eine Kreditvergabe des Bundes beispielsweise an die Bundesagentur für Arbeit (BA) wird als finanzielle Transaktionen eingestuft, die das staatliche Defizit zunächst unbeeinflusst lässt. Folglich bleibt die Rückzahlung des Kredits ebenfalls außer Ansatz. Soweit so gut. Aber es fehlt eine Vorschrift, dass das Ausbleiben der Rückzahlung des Kredits anders zu behandeln ist als eine erfolgte Rückzahlung. Theoretisch wäre es sonst möglich, Ausgaben zunächst als Kredit zu deklarieren – also die Finanzierung des Arbeitslosengelds II als Kredit an die BA – und diesen Kredit der BA später zu erlassen. Dieser Gestaltungsspielraum sollte unterbunden werden.

Während sich der Bund bei der Umsetzung der Schuldenregel alles in allem auf einem guten Weg befindet, fällt das Urteil für die Länder wesentlich skeptischer aus. Gemäß Artikel 109 Absatz 3 GG sind die Länder aufgerufen, "im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen" die Schuldenregel zu konkretisieren, jedoch unter der Maßgabe, dass "keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden," das heißt, sie dürfen sich ab dem Jahr 2020 strukturell überhaupt nicht mehr verschulden. Damit verfügen sie hinsichtlich der Umsetzung zwar über einen längeren Zeitraum, der jedoch bislang nicht von jedem Bundesland genutzt wird. In vier Ländern (Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Saarland) wurde die neue Schuldenregel bisher noch nicht einmal in der Landeshaushaltsordnung, geschweige denn in der Landesverfassung verankert. Hinzu kommen teilweise ganz erhebliche Konsolidierungsbedarfe. Nach Berechnungen des Sachverständigenrats müssen Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Hamburg keine oder sehr geringe Konsolidierungsanstrengungen unternehmen, wohingegen Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen ihre laufenden Ausgaben bis zum Jahr 2020 insgesamt um rund ein Fünftel reduzieren müssen, um die Schuldenregel einzuhalten. Ein Schelm, wem hierbei Griechenland in den Sinn kommt.