Künstliche Intelligenz trägt die vierte industrielle Revolution

Veranstaltungsreihen

Bahn-Vorständin Prof. Dr. Sabina Jeschke spricht am ZEW über Chancen und Herausforderungen von KI

DB-Vorstandsfrau Prof. Dr. Sabina Jeschke sprach bei ihrem Vortrag vor rund 130 Gästen am ZEW Mannheim über die Zukunft der künstlichen Intelligenz.

Wir erleben gerade die vierte industrielle Revolution: Der radikale Durchbruch der Künstlichen Intelligenz (KI) hat die Digitalisierung auf eine neue Stufe gehoben. Intelligente Systeme vernetzen sich in Echtzeit, sind in der Lage, mit Alltagssituationen umzugehen und entwickeln Kreativität. Und das ist erst der Anfang. So lautete die Botschaft von Prof. Dr. Sabina Jeschke, Vorständin für Digitalisierung und Technik der Deutschen Bahn AG, bei ihrem Vortrag am ZEW Mannheim in der Veranstaltungsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“.

Bahn-Vorständin Sabina Jeschke spricht am ZEW Mannheim über Chancen und Herausforderungen von KI

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Unter dem Titel „3 Shades of Artificial Intelligence – 5G and Quantum Computing Setting the Stage for Next Generation AI” gab Jeschke einen Überblick über die aktuellen und anstehenden Entwicklungen auf dem Gebiet der KI. Vor rund 130 Gästen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sowie Mitgliedern des ZEW-Förderkreises berichtete sie von ihren Erfahrungen als Managerin, Professorin und viermalige Weltmeisterin der RoboCup Logistics League, bei der Roboterteams in einer Fertigungsumgebung gegeneinander antreten.

Die ersten beiden industriellen Revolutionen seien energiegetrieben gewesen, führte Jeschke aus, die dritte und vierte industrielle Revolution dagegen informationsgetrieben. Als entscheidende Neuerung im 20. Jahrhundert seien Computer und Roboter aufgekommen. Nun schlage die Stunde der vernetzten, autonomen Systeme. „Bisher haben wir immer unsere Systeme beherrscht. Aber damit die Systeme adaptiv und sicher sind, muss ich sie lernen lassen“, so Jeschke. „Für Ingenieure ist das ein Albtraum. Die Ingenieurskunst in Deutschland baut auf hohe Perfektion und hohe Technikbeherrschung.“

Intelligente Systeme werden lernfähig

Die vierte Revolution zeichnet sich der Bahn-Vorständin zufolge durch drei Neuerungen aus: Zum einen hätten intelligente Systeme ein neues Komplexitätslevel erreicht, das ihnen erlaube, sich im menschlichen Alltag zurechtzufinden. Zum anderen ergebe sich durch die Vernetzung von Sensorinformationen verschiedener Geräte ein ganz neues Intelligenzkonzept. „Es ist, als könnten Sie sich die Augen Ihrer Kinder borgen und sehen, wie es zu Hause aussieht“, illustrierte Jeschke. Drittens erlangten künstliche Intelligenzen räumliches Vorstellungsvermögen. Sie lernten zu malen, zu musizieren und sogar zu träumen. Damit sei Kreativität keine rein menschliche Domäne mehr.

Seit etwa zehn Jahren befinden wir uns in der ersten, algorithmischen Phase der vierten industriellen Revolution, diagnostizierte die Professorin. Derzeit gehe es darum, technische Systeme lernfähig zu machen. Dabei unterschied sie drei verschieden Formen des maschinellen Lernens. Beim sogenannten „Supervised Learning“ füttern Menschen die KI mit Trainingsdaten, damit sie lernen, vorgegebene Muster zu identifizieren. Beim „Unsupervised Learning“ müssen die Algorithmen dagegen selbst herausfinden, wie sie Informationen am besten kategorisieren. „Das ist spannend, weil viele Daten für Menschen gar nicht so leicht zu erkennen sind – zum Beispiel in der medizinischen Forschung“, erklärte Jeschke.

Eine andere Form des maschinellen Lernens stellt das sogenannte „Reinforcement Learning“ dar: Die KI unternimmt ständig neue Versuche, ein vorgegebenes Ziel zu erreichen. Dafür erhält sie Rückmeldungen nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“. Jeschke hob den entscheidenden Vorteil dieser Methode hervor: „ Unternehmen im europäischen Raum unterliegen oft Einschränkungen aufgrund von Datenschutz. Start-ups haben üblicherweise keine Daten. Und viele Daten sind so schlecht, dass man nichts damit anfangen kann. Aber für Reinforcement braucht man keine Daten.“

Deutschland muss bei KI aufholen

Die Bahn-Vorständin gab sich jedoch nicht damit zufrieden, den aktuellen Zustand zu umreißen. In zwei bis drei Jahren komme die nächste Stufe, versicherte sie. Dabei sei die Vernetzung von Systemen zentral. Denn mit der Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G ließe sich die Intelligenz einer Maschine von der Hardware entkoppeln und in die Cloud verschieben. Jeschke veranschaulichte diese Entwicklung folgendermaßen: „Die Vollbremsfunktion in einem autonomen Auto ist etwa zehnmal so schnell wie die menschliche Reaktion. Wenn die Sensordaten erst mal in die Cloud und zurückgeschickt werden müssen, geht dieser Effekt wieder komplett verloren. Mit 5G fällt diese Latenzzeit weg, und wir können die Mechanik von der Intelligenz trennen.“ Weil sich die Leistungsfähigkeit von Rechnern etwa alle 18 Monate verdoppele, würden Autos und andere Geräte zudem ständig intelligenter.

Durch diese neuen Möglichkeiten ergeben sich aber auch neue Anforderungen an die Rechenleistung. Schon heute sei es bei der Deutschen Bahn nicht möglich, den kompletten Fahrplan auf einmal zu berechnen. Mittelfristig rechnet Jeschke damit, dass Quantencomputer diese Aufgabe übernehmen werden, auch aus Gründen des Energieverbrauchs: „Heutzutage findet eine riesige Materialschlacht statt. Der Energieaufwand steht in keinem vernünftigen Verhältnis zur Funktion.“ In sieben bis zehn Jahren, so Jeschkes Erwartung, wird auch diese dritte Stufe der vierten industriellen Revolution erreicht sein.

Während Europa auf der ersten Stufe der KI weit hinter den USA und China zurückliege, sei es noch nicht zu spät, den Anschluss zu schaffen. „Bei der Datenverarbeitung durch Plattformen wie Facebook haben wir etwa 15 Jahre Abstand, beim Quantum Computing vielleicht zwei“, so Jeschke. Zugleich mahnte sie: „Wenn wir noch zwei Jahre diskutieren, sind es schon vier.“ Als Auto-Nation sei es für Deutschland von entscheidender Bedeutung, die nächsten Schritte mitzugehen und den 5G-Standard zu etablieren. Die Bundesrepublik verfüge über eine grundsolide Wirtschaft und die besten Voraussetzungen, mitzumischen. „Wir haben das Potenzial. Und trotzdem, glaube ich, reicht es noch nicht“, lautete Jeschkes Fazit.

Die Vortragsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“ wird vom ZEW-Förderkreis Wissenschaft und Praxis e.V., unterstützt.

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