Krisenszenarien legen Kapitallücken im europäischen Finanzsektor offen

Forschung

Das M&A-Geschäft im europäischen Bankensektor stagniert bis heute weit unter dem Niveau vor Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007.

Im Fall einer neuen Finanzkrise mangelt es Europas Banken an genügend Eigenkapital, um die zu erwartenden Verluste auszugleichen. Wie groß diese Verluste ausfallen, hängt allerdings davon ab, welchem Stress-Level die Kreditinstitute ausgesetzt sind. In einer aktuellen Studie hat Prof. Dr. Sascha Steffen, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim und Universität Mannheim, zusammen mit Viral Acharya, New York University Stern School of Business, und Diane Pierret, Universität Lausanne, die jüngsten Stresstest-Resultate der europäischen Banken untersucht – mit dem Ergebnis, dass die Fehlbeträge je nach Krisenszenario und Methode Schwankungen in Milliardenhöhe aufweisen. Die Schwankungen sind insbesondere bei Banken in Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Spanien und Italien ausgeprägt.

Für ihren Vergleich zogen die Wissenschaftler/innen zunächst zwei Maßstäbe heran: zum einen den Ansatz der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) für den Bankenstresstest 2014, zum anderen die Methode der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) für den Stresstest 2016 im Bankensektor der Vereinigten Staaten von Amerika. Ausgehend von den Annahmen, die die EBA und die Fed zugrunde legten, erweiterten die Forscher/innen ihren Vergleich um einen marktbasierten Ansatz, nämlich die Annahme eines Einbruchs der weltweiten Aktienmärkte um 40 Prozent innerhalb von sechs Monaten. Untersucht wurden – analog zum Bankenstresstest der EBA 2016 – 51 europäische Kreditinstitute, 34 davon börsennotiert.

Deutsche und Französische Banken weisen die größten Fehlbeträge auf

Unter den Bedingungen des EBA-Krisenszenarios belaufen sich die Fehlbeträge aller 51 Banken auf insgesamt 5,6 Milliarden Euro. Das Fed-Krisenszenario dagegen weist Fehlbeträge in Höhe von insgesamt 123 Milliarden Euro für alle 51 betrachteten Banken aus. Die Geldhäuser mit den größten Kapitallücken sind im Fed-Szenario die Deutsche Bank (19 Milliarden Euro), die französische Société Générale (13 Milliarden Euro) und die französische BNP Paribas (zehn Milliarden Euro).

Die Kapitallücken, die die Autoren anhand des Stresstests mit Marktdaten, also bei Annahme eines Einbruchs der weltweiten Aktienmärkte um 40 Prozent in sechs Monaten, für die 34 börsennotierten Banken aufgedeckt haben, beliefen sich auf 675 Milliarden Euro, im Fed-Stresstest auf 92 Milliarden Euro. Dabei erwiesen sich die französische Crédit Agricole (79 Milliarden Euro), BNP Paribas (75 Milliarden Euro) und die Deutsche Bank (60 Milliarden Euro) als die Banken mit den größten Fehlbeträgen. 

"Das Verlustpotenzial ist je nach Szenario enorm"

"Der kürzlich von der EBA durchgeführte Stresstest zielte in erster Linie darauf ab, die Eigenkapitalquoten der Banken in der Eurozone transparent zu machen, weniger darauf, die Kapitalschwächen der Banken offen zu legen", erklärt Prof. Dr. Sascha Steffen, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs "Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement" und Mitautor der Studie. "Unser Vergleich zeigt, weshalb die Differenzen zwischen den beiden Methoden so enorm sind: Die Annahmen mit Blick auf die Eigenkapitalquoten weichen stark voneinander ab, das Verlustpotenzial ist je nach Szenario wesentlich höher und die Banken zeigen deutliche Unterschiede, wenn man den Marktwert ihres Eigenkapitals ins Verhältnis zum Buchwert setzt."

Die Mängel, die die kombinierten Krisenszenarien offenbaren, könnten laut Sascha Steffen behoben werden: "Die USA haben ihre Schlüsse gezogen und bereits 2008 umfangreiche Maßnahmen zur Rekapitalisierung des amerikanischen Bankensektors getroffen. In Europa fehlt dazu noch der politische Wille."

Download der Studie unter: www.sascha-steffen.de

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Prof. Dr. Sascha Steffen, Telefon 0621/1235-140, E-Mail steffen@zew.de