Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland? Der deutsche Sozialstaat funktioniert im internationalen Vergleich sehr gut

Nachgefragt

Muss in Deutschland stärker umverteilt werden? Prof. Dr. Andreas Peichl, Leiter der neuen ZEW-Forschungsgruppe "Internationale Verteilungsanalysen" zeigt auf, dass das Transfersystem von Reich zu Arm hierzulande vergleichsweise gut funktioniert.

Prof. Dr. Andreas Peichl ist Leiter der ZEW-Forschungsgruppe "Internationale Verteilungsanalysen" und Professor für Quantitative Finanzwissenschaft an der Universität Mannheim. Die Forschungsschwerpunkte von Andreas Peichl liegen in den Bereichen (empirische) Finanzwissenschaft und Arbeitsmarktökonomik. Zu seinen aktuellen Forschungsthemen zählen die Auswirkungen der Besteuerung auf Haushaltsentscheidungen und die Einkommensverteilung, die Inzidenz verschiedener Steuerarten sowie die optimale Ausgestaltung von Steuer- und Transfersystemen im internationalen Vergleich.

Ihre Berechnungen zeigen, dass die Einkommensungleichheit in Deutschland nur unwesentlich zugenommen hat. Jedoch lässt die öffentliche Diskussion glauben, viele Menschen in Deutschland würden immer ärmer. Warum gibt es hier offenbar ein Auseinanderklaffen zwischen Realität und Wahrnehmung?

Zunächst einmal ist zu betonen, dass Ungleichheit per se nicht schlecht ist. Im Gegenteil, wir benötigen eine gewisse Ungleichheit in der Gesellschaft. Durch sie entsteht Dynamik. Zu starke Gleichheit wiederum zerstört Leistungsanreize, wie man am Beispiel des real-existierenden Sozialismus gesehen hat. Im internationalen Vergleich leben wir in einer nicht besonders ungleichen Gesellschaft. Im Moment ist die Ungleichheit etwas geringer als in den frühen 1960er Jahren, aber höher als in den 1980er Jahren. Es gibt immer wieder kurzfristige Trends und Schwankungen, aber langfristig gesehen verharren die meisten Ungleichheitsindikatoren für Deutschland auf einem relativ stabilen Niveau. Was wir jedoch beobachten ist, dass sich die Ränder der Gesellschaft von dem Rest der Bevölkerung abkoppeln und die Polarisierung der Einkommen zunimmt. Am oberen Rand betrifft das nur wenige (die Top Ein-Prozent) während es am unteren Rand gut zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung betrifft. Während für weite Teile der Bevölkerung der Wohlstand steigt, wächst die Kluft zu diesen Menschen. Das erklärt zum Teil auch, warum die Ungleichheit in den letzten Jahren leicht gestiegen ist. Ob der Trend sich fortsetzt, muss sich jedoch noch erweisen. Gleichwohl haben wir einen sehr gut funktionierenden Sozialstaat, der die Ungleichheit in den Markteinkommen deutlich reduziert.

Die Umverteilung in Deutschland funktioniert nach Ihrer Einschätzung also gut und erreicht ihre Ziele?

Das kann man so sagen. Natürlich lässt sich über Details diskutieren, aber im Großen und Ganzen leben wir in einem sehr effektiven Wohlfahrtsstaat. Die Umverteilung von reich zu arm funktioniert sehr gut, so zahlen beispielsweise die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung mehr als 50 Prozent der Einkommensteuer, während die ärmsten 50 Prozent weniger als fünf Prozent zahlen. Der Staat sichert das Existenzminimum für alle Bürger und die Infrastruktur ist ausgezeichnet – gerade im internationalen Vergleich. Trotz der teilweise berechtigten Kritik am deutschen Bildungssystem bietet Deutschland relativ gute Aufstiegschancen.

Sie haben bereits erwähnt, dass die Ungleichheit beziehungsweise die Armut am unteren Rand der Einkommensverteilung steigt. Welche Rolle spielen hierbei die Hartz-Reformen?

Die sogenannte Armutsrisikoquote ist vom Ende der 1990er Jahre bis circa 2005 von gut zehn Prozent auf rund 15 Prozent gestiegen; seitdem jedoch konstant. Insofern haben die Hartz-Reformen zu keinem weiteren Anstieg der Armutsquote geführt. Ein Problem der Armutsmessung in entwickelten Ländern ist jedoch, dass die Armutsgrenze immer in Relation zum Durchschnittseinkommen berechnet wird. Wenn dieses nun stärker steigt als die unteren Einkommen, dann steigt die Armut, auch wenn fast alle Menschen - auch dank Sozialleistungen wie etwa Hartz IV - oberhalb des sozio-kulturellen Existenzminimumsliegen. Ein Hauptproblem der Hartz-Reformen ist aber vor allem, dass es auch nach den Reformen noch immer die gleichen Problemgruppen am Arbeitsmarkt gibt wie vor der Reform: Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose. Ein weiteres Problem ist die Ausweitung des Niedriglohnbereichs durch schlecht bezahlte Teilzeitstellen und Minijobs. Natürlich kann man einerseits sagen: Ein Minijob ist besser als überhaupt kein Job. Aber gleichzeitig zeigen verschiedene Studien, dass viele dieser Stellen sich als Sackgasse erweisen, aus der man nicht mehr herauskommt. Einen Ausweg bietet nur eine bessere Qualifikation, mit deren Hilfe die betroffenen Personengruppen am Markt ausreichend hohe Löhne erzielen können.

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