Wer könnte von welcher Regierungsbeteiligung profitieren

Forschung

ZEW berechnet Wahlvorschläge zur Bundestagswahl (aktualisiert)

Wissenschaftsteam des ZEW Mannheim berechnet die monetären Auswirkungen der aktuellen Wahlvorschläge.

Die Parteien zur Bundestagswahl unterscheiden sich erheblich bei der finanziellen Wirkung ihrer Politikvorschläge auf Geringverdiener und höhere Einkommen. Die vorgeschlagenen Steuerentlastungen von FDP und Unionsparteien entlasten die höheren Einkommensklassen deutlich, während die Programme von SPD, Linke und Grünen besonders für untere und mittlere Einkommen einen Zuwachs beim verfügbaren Einkommen aus Netto-Lohn und Sozialtransfers bedeuten. Zu diesem Ergebnisse kommt ein Wissenschaftsteam des ZEW Mannheim, das die Auswirkungen zentraler Reformvorschläge zu Steuern-, Mindestlohn, Mini- und Midi-Jobs, Sozialversicherung  und Familienpolitik, auf private Haushalte für die Süddeutsche Zeitung untersucht hat.

Dabei wurden die Wahlprogramme der Parteien berechnet, die für eine Regierungsbeteiligung am ehesten infrage kommen. Waren die Vorschläge in den Programmen zu unkonkret, trafen die Forscher plausible Annahmen auf Basis von Beschlüssen und Äußerungen der Parteien, um die intendierten Wirkungen der Vorschläge nicht zu ignorieren. Das Simulationsmodell nutzte Daten des Sozio-Ökonomischen Panel (SOEP).

Allgemeine Dokumente

ZEW-Kurzexpertise „Reformvorschläge der Parteien zur Bundestagswahl 2021 – Finanzielle Auswirkungen“

Allgemeine Dokumente

Politikparameter zur ZEW-Kurzexpertise

SPD, Grüne und Linke wollen Geringverdienern ein Plus bescheren

Würden die Wahlprogramme von SPD, Grüne und Linke jeweils umgesetzt, so wäre ein Ehepaar mit zwei Kindern in den unteren Einkommensschichten deutlich besser gestellt. Diesem stünden bei einem Brutto-Einkommen von 40.000 Euro jährlich rund 3.300, 4.000 oder sogar 5.100 Euro mehr zur Verfügung, bei FDP und Union nur rund 900 Euro. „SPD, Grüne und Linke entlasten untere und mittlere Einkommen und finanzieren dies über höhere Steuern für Spitzenverdienern“, erklärt ZEW-Wissenschaftler Dr. Florian Buhlmann.

Anstelle von Umverteilung planen Unionsparteien und FDP, alle Haushalte zu entlasten, jedoch Haushalte mit hohem Einkommen stärker. Ein Ehepaar mit zwei Kindern erhielte bei einem beispielhaften Brutto-Einkommen von 300.000 Euro demnach ein finanzielles Plus von 11.000 bis 18.000 Euro.

FDP will Spitzenverdiener am stärksten entlasten

Betrachtet man die relativen Zuwächse, die sich aus den Wahlprogrammen ergeben, über verschiedene Einkommensklassen der Haushalte im SOEP so zeigt sich ein ähnliches Bild. Den größten relativen Zuwachs beim verfügbaren jährlichen Durchschnittseinkommen bringt die Linke mit rund 11,1 Prozent Haushalten mit 10.001 bis 20.000 Euro brutto. Die FDP hingegen plant, Haushalte mit 150.001 bis 250.000 Euro brutto am stärksten zu entlasten (9,7 Prozent mehr an verfügbarem Einkommen).

Die Steuerpläne sowie sozial- und familienpolitischen Vorschläge der Parteien für die nächste Legislaturperiode wirken sich unmittelbar auf die Maße für Ungleichheit aus, wie die Wissenschaftler zeigen konnten. So würde der sogenannte Gini-Koeffizient bei Umsetzung des Programms der Linken mit knapp -15 Prozent im Vergleich zum Status quo am deutlichsten sinken, gefolgt von Grünen mit -6,5 Prozent und SPD, die für -4,3 Prozent sorgen würde. Würden jedoch die berechneten Vorschläge der FDP mit umgesetzt, stiege das Maß für Ungleichheit um 3,2 Prozent, bei den Unionsparteien um 1,6 Prozent. „Wir beobachten bei der Verteilungspolitik einen Lagerwahlkampf“, sagt Prof. Dr. Sebastian Siegloch, Leiter des Forschungsbereichs „Soziale Sicherung und Verteilung“. „Die Parteien haben sich eindeutig entschieden, wo sie bei der Verteilungspolitik stehen.“

Parteien denken zuerst an die Wähler der anderen

Die Wahlklientel der Parteien profitiert in barer Münze sehr unterschiedlich vom jeweiligen Programm, vergleicht man die SOEP-Daten zum Wahlverhalten im Jahr 2017 mit den aktuellen Programmen. So entlastet die FDP Wähler/innen der Grünen mit durchschnittlich 6,2 Prozent am stärksten und die eigene Klientel mit 5,9 Prozent erst an zweiter Stelle. Die Grünen hingegen stellen ihre Wähler/innen mit 1,1 Prozent Zuwachs des durchschnittlich verfügbaren Einkommens auf die vierte Position. Dagegen profitieren AfD-Wähler/innen mit 2,9 Prozent bei ihnen am stärksten, ebenso bei SPD (2,75 Prozent) und Linke (7,4 Prozent).

Was das für den Staatshaushalt bedeutet

Die Wahlprogramme von FDP und CDU/CSU würden bei ihrer Umsetzung mit -88 Mrd. Euro bzw. -33 Mrd. Euro aufgrund von versprochenen Steuerreduktionen die größte Lücke in den Staatshaushalt reißen. „Union und FDP setzen implizit darauf, dass Wirtschaftswachstum die schwarze Null rettet“, sagte ZEW-Ökonom Buhlmann. Währenddessen würde der Staatshaushalt einen starken Überschuss von 37 Mrd. Euro bzw. 18 Mrd. Euro aufweisen, wenn die Linke bzw. Bündnis 90/Grünen ihre Beschlusslage umsetzen könnten. Im Programm der Linken liegt dies unter anderem an der Vermögensteuer, die mit ein Prozent ab einer Million Euro startet und auf fünf Prozent ab 50 Millionen Euro Vermögen ansteigt, sowie an höheren Spitzensteuersätzen von bis zu 75 Prozent. Bei den Grünen trägt ebenfalls eine Vermögensteuer zum Haushaltsüberschuss bei, diese beträgt allerdings nur ein Prozent und greift ab einem Vermögen von zwei Millionen Euro.

Zur Methode

Die Berechnungen wurden mit Hilfe des Models ZEW-EviSTA (Evaluationsmodell für integrierte Steuer- und Transferpolitik-Analysen) zum Rechtstand 2021 durchgeführt. ZEW-EviSTA nutzt zur Berechnung der fiskalischen Effekte, der Ungleichheitsmaße und den Veränderungen der verfügbaren Jahreseinkommen nach Bruttoeinkommen sowie Parteipräferenzen als Datengrundlage das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) v.34. Mögliche Verhaltensanpassungen – etwa bei der Arbeitszeit oder der Steuervermeidung – werden hierbei ausgeklammert.

Aktualisierungen

Diese aktualisierte Version der Pressemitteilung berücksichtigt die endgültigen Vermögensteuerpläne der Linken und nicht die Regelung, wie sie im Entwurf des Wahlprogramms skizziert wurde. Diese hatten die ZEW-Wissenschaftler für den Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 8. Juli 2021 zugrunde gelegt.

Auf Anfrage des TV-Magazins „Kontraste“ (RBB/ARD) wurde die ZEW-Kurzexpertise zum 5. August außerdem um das Wahlprogramm der Partei „Alternative für Deutschland“ ergänzt sowie ein weiterer Musterhaushalt mit alleinerziehendem Elternteil und einem Kind hinzugefügt. Der darauf basierende Fernsehbeitrag lief am 5. August in der ARD.

Kontakt