Messung von Reformwiderständen in EU-Staaten: Fehlendes Vertrauen in politische Akteure blockiert Reformen in Südeuropa

Forschung

Das erodierte Vertrauen in die politischen Akteure des eigenen Landes, eine stark alternde Bevölkerung und ein unzureichender Schutz vor Armut durch die vorhandenen Sozialsysteme sind wesentliche Ursachen für die Widerstände gegen notwendige Reformen in Teilen der Bevölkerung südeuropäischer EU-Staaten. Zu diesem Fazit kommt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die die Situation in Griechenland, Spanien, Portugal und Italien sowie 13 weiteren EU-Staaten näher analysiert hat.

Mit der bisherigen Euro-Rettungspolitik ist es zwar gelungen Zeit zu erkaufen, die tiefer liegenden Krisenursachen in Europa können aber nur durch weit reichende Reformen beseitigt werden. Doch die Widerstände in der Bevölkerung hiergegen sind groß, vor allem bei Reformen, die die Sozialsysteme, den Arbeitsmarkt oder die öffentlichen Haushalte betreffen.

Zur Verbesserung der Reformchancen vor allem in den Ländern Südeuropas muss nach Auffassung der ZEW-Forscher die europäische Ebene stark in den Reformprozess einbezogen bleiben, weil das Vertrauen in die europäischen Instanzen oftmals größer ist, als das Vertrauen in die nationalen Akteure. Zudem muss der Neuausrichtung der Sozialsysteme mehr Beachtung geschenkt werden, um eine wirksamere Absicherung gegen Armut zu gewährleisten, so das Plädoyer der Autoren der Studie.

Um die Reformfähigkeit der europäischen Länder vergleichen zu können, wurde ein Gesamtindikator entwickelt, der die Stärke des Reformwiderstands in den untersuchten Ländern abbildet. Eingeflossen sind in diesen Indikator die demografischen Daten zur Altersstruktur der Länder, denn ältere Wähler stehen Reformen aufgrund eines kürzeren Zeithorizonts skeptischer gegenüber. Auch die Qualität des Schutzes vor Armut durch die vorhandenen Sozialsysteme wurde berücksichtigt, da diese potenzielle Reformverlierer auffangen müssen. Die Effizienz der Sozialsysteme bestimmt daher nicht unerheblich die Bereitschaft der Bürger, Reformen zu unterstützten. Als weiterer Faktor wurde die Bildung einbezogen, da Reformen oft komplexe und individuell schwer zu bewertende Folgen haben. Um den Bildungsstand zu quantifizieren, wurden Bildungsindikatoren, wie beispielsweise die Resultate der PISA-Erhebungen genutzt. Außerdem wurden Umfragen zum Vertrauen der Bürger in die Politik mit in die Konstruktion des Indikators aufgenommen. Denn wenn das Vertrauen in die Politik sehr niedrig ist, gehen die Wähler davon aus, dass eine Reform nur bestimmten Interessengruppen dient und nicht der Allgemeinheit zugute kommt. Infolgedessen ist ihre Zustimmung zu Reformen nur gering.

Um die  Stärke von Reformwiderständen vergleichen zu können, wurde der Gesamtindikator mit den entsprechenden Daten der untersuchten europäischen Länder unterlegt. In dem sich hieraus ergebenden Reformfähigkeits-Index wird jedem Land ein Wert zwischen null, hier liegen besonders große Reformwiderstände vor, und eins, die Bevölkerung ist sehr reformfreundlich, zugeordnet. Griechenland landet mit einem Wert von unter 0,15 hinter Spanien an letzter Stelle. Vor diesen beiden Ländern rangieren Portugal und Italien, mit Werten zwischen 0,2 und 0,3. Zur Spitzengruppe der besonders reformfreundlichen EU-Länder gehören  mit einem Wert von über 0,7 auf dem Reformfähigkeits-Index die Niederlande und die skandinavischen Staaten. Frankreich bewegt sich mit einem Wert von etwas über 0,45 im unteren Mittelfeld. Deutschland liegt mit einem Wert von knapp über 0,5 genau in der Mitte der verglichenen Staaten.

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