Wirtschaftspolitik aus erster Hand – Die Dramaturgie der Eurokrise

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Prof. Dr. Markus K. Brunnermeier bei seinem Vortrag zur Rettung von Euro und Eurozone am ZEW.

Europa leidet seit 2009 unter der Eurokrise und ihren Folgen. Eine Lösung scheint derzeit nicht in Sicht – zumindest nicht auf politischer Ebene. Dagegen schlägt Prof. Dr. Markus K. Brunnermeier von der US-amerikanischen Princeton University mit dem Konzept der sogenannten "European Safe Bonds" – kurz ESBies – einen Weg aus der Misere vor. Als Teil der Vortragsreihe Wirtschaftspolitik aus erster Hand am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) stellte Brunnermeier seinen Ansatz am 4. Oktober 2016 vor und damit seine Sicht einer möglichen Rettung der Eurozone aus dem Dauerkrisenzustand.

Ein Kernproblem der Eurokrise liegt in den grundlegend unterschiedlichen ökonomischen Philosophien dies- und jenseits des Rheins. Ein wesentlicher Faktor ist demnach, dass Deutschland und Frankreich komplett gegensätzliche Positionen mit Blick auf die EU-Konvergenzkriterien zu Preisniveaustabilität und Inflationsrate vertreten, wie sie im Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 stehen. "Es ist zu einer gravierenden Machtverschiebung von Brüssel nach Berlin und Paris gekommen", erklärte Markus Brunnermeier zu Beginn seines Vortrags.

Besagte Verschiebung machte der deutsche Ökonom, Leiter  des  Bendheim Center of Finance an der Princeton University sowie Berater der Deutschen Bundesbank und des Internationalen Währungsfonds, an einigen historischen Wendepunkten fest: darunter die Gründung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) 2010, die "Whatever it takes"-Rede von Mario Draghi als Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) in London, die den Weg hin zu einem Bail-in-Regime während der Zypernkrise 2013 ebnete, sowie zuletzt die Entscheidung Großbritanniens zum Austritt aus der Europäischen Union.

Deutschland und Frankreich sehen "durch die Brille der Ideologie"

"Wenn man die eigenen, nationalen Interessen beurteilt, dann immer durch die Brille der Ideologie", analysierte Brunnermeier, "das führt zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen." Im Falle Deutschlands und Frankreichs lasse sich das anhand von vier Dimensionen aufzeigen, die ganz unterschiedliche Perspektiven auf Geld- und Fiskalstabilität sowie Finanzstabilität in Berlin und Paris widerspiegeln.

Während die Franzosen eher aktives Krisenmanagement betrieben, würden sich die Deutschen zur Krisenprävention an Regeln halten. Dort extreme Selbstbindung bei strikter Flexibilität, hier Sicherheitsventile wie etwa ein Schuldenschnitt, führte Brunnermeier aus. Frankreich setze zudem auf das Solidaritätsprinzip in Form einer Fiskalunion, Liquidität und Reformen in Boom-Phasen. Deutschland dagegen vertraue auf das Haftungsprinzip in Form der "No bail-out"-Klausel, Solvenz und Reformen in Krisenzeiten, um den benötigten politischen Druck aufzubauen. Zwar seien alle diese Dimensionen schon während der Maastricht-Verhandlungen vorhanden gewesen. "Aber die Wichtigkeit der Finanzstabilität lag in Maastricht noch nicht so offen auf dem Tisch", so Brunnermeier. Die Rechnung dafür zeige sich jetzt an der Staatsschuldenkrise.

ESBies bündeln Staatspapiere nach Risikoklassen

"Wenn ein Staat Schulden in Euro hat, kontrolliert er die Währung nicht mehr, kann folglich nicht mehr in Eigenregie abwerten und wird daher zum Ausfallrisiko", fasste Brunnermeier zusammen, "das ist die Dramaturgie der Eurokrise". Da Euro-Schulden wie ausländische Währungsschulden zu handhaben seien, sei eine sichere europäische Anlagemöglichkeit gefragt: eben ESBies. Das Konzept der ESBies bündelt Brunnermeier zufolge Staatspapiere und tranchiert sie nach Risikoklassen beziehungsweise in riskante Junior- und sichere Senioranleihen. "Damit verschiebt sich die Kapitalflucht weg von Ländergrenzen hin zu einer Flucht in Junior- und Senioranleihen", so Brunnermeier.

In der von ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, Ph.D., moderierten Podiumsdiskussion im Anschluss an den Vortrag debattierte Markus Brunnermeier mit Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs "Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft", über das ESBies-Konzept. Friedrich Heinemann warf ein, dass es eine große, übergeordnete Agentur brauche, die ESBies bündeln müsse. "Das schafft eine enorme politökonomische Macht", warnte der ZEW-Wissenschaftler, "ein viel milderes Mittel wäre eine saubere Regulierung, durch die Eigenkapitalprivilegien bei Staatsanleihen und Klumprisiken eliminiert werden." Das ZEW habe die Idee der "Accountability Bonds" entworfen, die nicht an den Geldbeständen, sondern am Geldfluss ansetze.

Das Publikum klinkte sich schließlich mit Fragen in die Debatte ein: Wie kann Liquiditätsbündelung in der Eurozone gelingen, wenn es nur eine relativ kleine Zahl von Schuldnern gibt? Wie kann das Problem der Bewertung bei ESBies gelöst werden? Und: Warum sollen sich europäische Regierungschefs auf absehbare Zeit auf diese Lösungsvorschläge einlassen, wenn die EZB gegenwärtig für alles aufkommt? Weder Friedrich Heinemann noch Markus Brunnermeier blieben Antworten schuldig – wobei letzterer im Detail auf sein aktuelles Buch "The Euro and the Battle of Ideas" verwies.