Wie nachhaltig sind Deutschlands geplante Energiemarktreformen? - "Die Stilllegung von Braunkohlekraftwerken ist klimapolitisch komplett wirkungslos"

Nachgefragt

Die Bundesregierung hat ein ehrgeiziges Gesetzesvorhaben angestoßen: Mit dem Strommarktgesetz, der Verordnung zur Kapazitätsreserve und dem Gesetz zur Digitalisierung sollen die Energiewende und Deutschland zukunftsfähig gemacht werden. Während sich der Bundestag zunächst mit dem Strommarktgesetz befassen darf, schwebt dem Kabinett mit dem regulatorischen Dreiklang vor, sowohl den deutschen Energiemarkt weiter zu entwickeln als auch die gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen. ZEW-Umweltökonom Nikolas Wölfing ist der Ansicht, dass die Gesetze bei Weitem nicht so gut gemacht wie gemeint sind.

Berlin spricht von einem "Strommarkt 2.0". Was steckt dahinter?

Der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die wichtigsten erneuerbaren Stromquellen – Sonne und Wind – passen sich jedoch kaum dem Bedarf am Markt an. Um zu gewährleisten, dass sich Bedarf und Erzeugung jederzeit im Einklang befinden, müssen andere Maßnahmen greifen – seien es Anpassungen bei der Nachfrage oder zusätzliche Erzeugung aus anderen Kraftwerken. Die Bundesregierung hat entschieden, dass in erster Linie Preissignale den Ausschlag für die tatsächliche Stromlieferung geben sollen. Es soll also das bisherige Design des „Energy Only Market“ (EOM) gestärkt werden. Das ist an sich zu begrüßen, denn Preise liefern beim richtigen Marktdesign effiziente Knappheitssignale. Konkret äußert sich dies in mehreren kleineren Reformen die dazu führen sollen, dass sich einerseits Verbraucher und Erzeuger besser an ihre angemeldeten Fahrpläne halten, und andererseits mehr Anbieter ihre flexiblen Lasten oder Erzeugungskapazitäten anbieten können.

Der Gesetzesentwurf sieht ab Herbst 2017 eine Kapazitätsreserve vor: Braunkohlekraftwerke werden abgeschaltet, springen aber im Notfall wieder ein. Damit soll sowohl die Versorgung gesichert, als auch das deutsche Klimaschutzziel bis zum Jahr 2020 erreicht werden.

Versorgungssicherheit und Klimaschutz werden zwar als Gründe angeführt, aber leider greifen sie nicht. Zur Versorgungssicherheit: Die Kraftwerke sollen einspringen, wenn ein Engpass auftritt. Allerdings werden die Kraftwerke ja gerade erst auf politischen Wunsch hin aus dem Markt genommen. Es kommt also keinerlei installierte Kapazität hinzu. Faktisch ist das auch nicht nötig, denn derzeit haben wir Überkapazitäten im Markt. Die Preise sind so niedrig, dass einige Betreiber ihre Kraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen stilllegen. Das sind aber gerade nicht die, die der Gesetzentwurf adressiert. Das Vorhaben nimmt also Kraftwerke aus dem Markt, die andernfalls weiter produziert hätten.

Und der Klimaschutz?

Die beschlossene Stilllegung von Braunkohlekraftwerken ist klimapolitisch leider komplett wirkungslos. Das Problem liegt bereits bei der Formulierung des nationalen Klimaschutzziels: Es verträgt sich nicht mit den europäischen Zielen. Seit 2005 sind über das Emissionshandelssystem Einsparungen von Treibhausgasen für bestimmte Sektoren in der ganzen EU festgelegt. An der Gesamtmenge der industriellen CO2-Emissionen in Europa ändert sich somit gar nichts, solange nicht die Menge gehandelten Emissionszertifikaten reduziert wird. Sinken die Emissionen aus deutscher Braunkohle, so können dafür die Emissionen in anderen Sektoren oder Ländern im gleichen Umfang steigen. Alle beteiligten Fachleute kennen diesen Zusammenhang. Das eigentlich Irritierende ist, dass dennoch behauptet wird es ginge hier um Klimaschutz. Es mag andere Gründe geben die Nutzung der Braunkohle einzuschränken, aber für den Klimaschutz bringt diese Regelung nichts.

Der Bund stellt den Betreibern der Kraftwerk-Reserve Millionenbeträge als Entschädigung in Aussicht. Für private Haushalte fallen künftig 0,05 Cent pro Kilowattstunde Strom an, um das Klima zu schützen. Wie passt das zusammen?

Leider gar nicht. 0,05 Cent pro Kilowattstunde erscheint wenig. Die Bundesregierung beziffert die Gesamtkosten jedoch auf jährlich 230 Millionen Euro, und das im Schnitt über sieben Jahre hinweg. Im Jahr 2020 sollen dadurch die deutschen CO2 Emissionen um 11 bis 12,5 Millionen Tonnen geringer ausfallen. Für das Jahr 2020 entspräche das Kosten von rund 20 Euro pro Tonne. In den anderen Jahren läge dieser Wert sicher noch höher. Zum Vergleich: Der Marktpreis für CO2 liegt derzeit zwischen fünf Euro und 6,50 Euro. Für ein Viertel bis ein Drittel der Kosten könnten also Emissionen tatsächlich vermieden statt nur verlagert werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt der Reformen betrifft die Digitalisierung. Was ist hier geplant?

Einerseits geht es um den verstärkten Ausbau von intelligenten Stromzählern, andererseits darum welche Sicherheitsstandards hierfür notwendig sind. Die Bundesregierung zielt beim Smart-Meter-Ausbau zuerst auf Industrie und Gewerbe ab, was mit Blick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis und den Datenschutz sicher sinnvoll ist. Derzeit lassen die Kosten den Einbau der Zähler in der Masse nicht rentabel erscheinen. Das hängt nicht zuletzt auch an den regulierten Preisbestandteilen wie die Umlagen für erneuerbare Energien, die Reservekraftwerke und die Netzentgelte. Wenn die fixen Umlagen steigen und die Strompreise an der Börse so niedrig sind wie derzeit, dann fehlen genau die Anreize den Stromverbrauch der aktuellen Situation anzupassen. Es wird künftig daher zunehmend wichtig werden, intelligente Designs für die Vergütungen zu finden, die bisher noch auf fixen Umlagen basieren.

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