Vor 60 Jahren haben Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Nieder­lande und Luxemburg in Rom die Verträge zur Europäischen Wirtschafts­gemeinschaft sowie zur Europäischen Atomgemeinschaft unterzeichnet. Nach der Gründung der Montanunion 1951 waren die Römischen Verträge mit dem Aufbau einer Zollunion und eines gemeinsamen Marktes der nächste fundamentale Schritt im europäischen Integrationsprozess. Interessant ist, unter welchen Voraussetzungen die Römischen Verträge zustande kamen.

Im Oktober 1950 machte der französische Ministerpräsident René Pleven den Vorschlag für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Während die nationalen Parlamente der Partnerstaaten nacheinander zustimmten, stemmte sich die französische Nationalversammlung 1954 schließlich dagegen. Das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft kann jedoch als Impuls für die Römischen Verträge verstanden werden. Auf der Konferenz von Messina im Juni 1955, die Rom vorausging, stand nun wieder die wirtschaftliche Zusammenarbeit Europas im Vordergrund. Das "Nein" der Franzosen zur Europä­ischen Verteidigungsgemeinschaft bis hin zur Ablehnung des Vertrags über eine Verfassung in Europa sowohl im französischen als auch im niederländischen Parlament im Jahr 2005 zeugen vom Auf und Ab des europäischen Integrationsprozesses. Viele Maßnahmen, die Europa erfolgreich unternommen hat, wurden häufig zunächst in unterschiedlichen Konstellationen erbracht. So wurde etwa das Schengener Abkommen zur Beseitigung von Passkontrollen an den Binnengrenzen ursprünglich von fünf EU-Gründungsstaaten getragen – zu einem Zeitpunkt, da der Gemeinschaft bereits zehn Mitglieder angehörten. Auch der Euro ist bis heute nicht in allen EU-Staaten Zahlungsmittel.

Mit der nunmehr offiziellen Austrittsentscheidung Großbritanniens verlässt die zweitstärkste Volkswirtschaft Europas die Union. Der Brexit – wie auch die nationalistischen Töne im Zuge der anstehenden Wahlen in einigen europäischen Ländern – hat eindrücklich gezeigt, dass die europäische Integration nach wie vor kein Selbstläufer ist. Nicht jeder EU-Mitgliedstaat trägt jedes Projekt mit.

Die EU tut sich schwer, auf diese Entwicklungen die passende Antwort zu finden. EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker hat jüngst fünf Szenarien zur Zukunft Europas vorgelegt und ist stark dafür kritisiert worden, dass diese Vielfalt einen klaren Plan vermissen lasse. Die Forderung nach eindeutigen Vorgaben aus Brüssel scheint jedoch daran vorbeizugehen, dass die natio­nalen Parlamente und Bürger/innen mehr Souveränität und Mitbestimmung fordern. Es ist daher gut, dass die Diskussion um Euro­pa wieder in die Nationalstaaten verlagert wird. Folgerichtig gewinnt auch das dritte Szenario Junckers an Gewicht – das der unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Integration oder, etwas weniger wertend, eines Europas der variablen Geometrie.

Mehr Mitbestimmung für mehr Akzeptanz

Wenn Abkommen zugelassen würden, die nicht zwingend von allen EU-Ländern ratifiziert werden müssen, aber bei denen jedem Land der Beitritt frei stünde, könnte ein Europa mit vari­ablen Geometrien entstehen, in dem sich bei unterschiedlicher Zusammensetzung der Mitgliedstaaten Synergien nutzen lassen. Durch die Verlagerung der Entscheidung zur Teilnahme auf die nationale Ebene ließe sich dem Gefühl der Fremdbestimmung durch die EU-Institutionen in Brüssel entgegenwirken, wodurch auch die Identifikation und Akzeptanz der jeweiligen nationalen Bevölkerung mit und von EU-Projekten gefördert würde.

Die Stärke der EU liegt darin, dass ihre Mitglieder Projekte wie den Binnenmarkt oder die Umsetzung fairer Wettbewerbsregeln gemeinsam effizienter und effektiver bewältigen können, als allein auf nationaler Ebene. Andere Projekte, bei denen Synergieeffekte genutzt werden können, liegen etwa in der Flüchtlings- oder der Verteidigungspolitik. Seit den Römischen Verträgen lebt die europäische Zusammenarbeit davon, dass einzelne Staaten die Initiative ergreifen, machbare Synergien realisieren, und offen für die Einbeziehung weiterer Staaten sind. Der EU hat dies gut getan und sie wird auch künftig davon profitieren.

Dieser Beitrag ist zuerst am 25. März 2017 in der „Madsack Mediengruppe“ erschienen.