Akademikermangel in Deutschland? "Bachelor- und Masterabschlüsse erleichtern die Mobilität von Hochqualifizierten in Europa"

Nachgefragt

Deutschland wird häufig kritisiert, im internationalen Vergleich zu wenig Akademiker auszubilden. Zuletzt bemängelte etwa die OECD, dass hierzulande zu wenig junge Menschen ein Studium aufnähmen. Friedhelm Pfeiffer, Bildungsökonom am ZEW, hält diesen Blickwinkel für verengt.

PD Dr. Friedhelm Pfeiffer ist Ansprechpartner des Forschungsschwerpunktes Bildungsökonomik am ZEW und stellvertretender Leiter des Forschungsbereichs "Arbeitsmärkte, Personalmanagement und Soziale Sicherung". Seit dem Jahre 2009 ist Friedhelm Pfeiffer Mitglied im Bildungsökonomischen Ausschuss des Vereins für Socialpolitik, seit 2010 Mitglied im Mannheimer Bildungsbeirat. Sein Forschungsinteresse gilt den Wirkungen optimierter Bildungsinvestitionen für individuelle und gesamtwirtschaftliche Erträge sowie den Ursachen und Konsequenzen des Erwerbs von kognitiven und nicht kognitiven Fähigkeiten im Lebenszyklus.

Gibt es zu wenig Akademiker in Deutschland?

Nach den Analysen des jüngsten OECD Bildungsberichts liegt der Anteil der Akademiker in Deutschland bei 26 Prozent. Im OECD Vergleich ist das eher wenig und wir landen auf einem hinteren Rang. In den Vereinigten Staaten gibt es 41 Prozent Akademiker. Jedoch hat dort für 35 Prozent der Absolventen das Studium weniger als drei Jahre gedauert. Hinzu kommt: in Deutschland haben zehn Prozent der Nichtakademiker eine hochwertige postsekundäre Ausbildung abgeschlossen, beispielsweise die Meisterausbildung, die es in anderen Ländern oftmals nicht gibt. Ob es in Deutschland zu wenige Akademiker gibt, kann somit anhand der Zahlen, die die OECD veröffentlicht, nicht entschieden werden. Deutschland ist eine Bildungsnation mit einem vielfältigen Bildungssystem. Vergleicht man statt des Anteils der Akademiker die mittlere Anzahl der Jahre in Ausbildung in der Bevölkerung, befindet sich Deutschland mit etwa 13 Jahren international in der Spitzengruppe. Man darf auch nicht die Freiheit der Berufswahl vergessen. Die Investition in ein Studium muss sich schließlich für die Studierenden lohnen, unter Beachtung von Kosten und Risiken, beispielsweise Verdienstrisiken, und der verfügbaren Bildungsalternativen, insbesondere dem Dualen Ausbildungssystem.

Viele Unternehmen klagen über einen Mangel an Fachkräften, etwa in den Ingenieurswissenschaften oder im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Sind solche Klagen berechtigt?

Solche Klagen, die sich in konjunkturell stabilen Zeiten häufen, sollte man ernst nehmen, aber nicht überbewerten. Es gibt sozusagen immer Hinweise auf Engpässe in bestimmten Berufen, derzeit in den naturwissenschaftlichen Bereichen, aber beispielsweise auch in der frühkindlichen Pädagogik. Es gibt zudem Hinweise auf Fachkräfteüberschüsse in anderen Berufen, unter anderem bei Köchen. Die Arbeitslosigkeit ist weiterhin hoch, trotz der insgesamt guten Beschäftigungszahlen insbesondere bei Akademikern. Die Anpassung der Bildungssysteme an neue Bedarfe braucht Zeit und auf den Mangel folgt nicht selten ein Überschuss. Hinzu kommt: Für Arbeitnehmer aus Osteuropa wurden die Grenzen im Sommer letzten Jahres geöffnet; die Grenzen für Bulgarien und Rumänien werden im Jahr 2014 geöffnet.

Wird die Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge zu höheren Abschlussquoten führen und damit dem Fachkräftemangel entgegen wirken?

Der Bologna Prozess kann durchaus zu höheren Abschlussquoten beitragen und dem Fachkräftemangel dank größerer Vergleichbarkeit in den Abschlüssen entgegen steuern. Damit kann ein europäischer Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte entstehen. Allerdings verbleiben aufgrund der sprachlichen und kulturellen Heterogenität in Europa Barrieren, die dem entgegenwirken können. In Deutschland gibt es darüber hinaus die Notwendigkeit, die Expansion der tertiären Bildung mit der Entwicklung der beruflichen Bildung abzustimmen. Es sollte nicht dazu kommen, dass Bachelorstudenten zu "Schmalspurakademikern“ ausgebildet werden, deren Humankapital niedriger wäre als bei Menschen, die eine dreijährige Berufsausbildung abgeschlossen haben.