Europäische Arbeitslosenversicherung birgt Chancen und Risiken für die Eurozone

ZEW Lunch Debate in Brüssel

Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut bei ihrem Impulsvortrag zur Eröffnung der ZEW Lunch Debate.

Die Eurokrise hat die Debatte um eine tiefere fiskalische Integration der Europäischen Union entfacht. Die Idee einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung wird dabei kontrovers diskutiert. Als automatischer Stabilisator könnte ein derartiger Mechanismus den Mitgliedstaaten der Währungsunion helfen, asymmetrische Konjunkturschocks im Euroraum aufzufangen. Inwiefern aber ist eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung für die Länder der Eurozone politisch umsetzbar? Und welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um unerwünschte Effekte wie permanente Transfers und negative Anreizwirkungen zu vermeiden? Fragen, die im Mittelpunkt der ZEW Lunch Debate "Chances and Risks of a European Benefit Scheme" des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am 20. Oktober 2016 in der Brüsseler Vertretung des Landes Baden-Württemberg bei der EU standen.

Eröffnet wurde die Veranstaltung von Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg, mit einem Impulsreferat. Angesichts der schwierigen Lage der EU plädierte sie dafür, alle zur Verfügung stehenden Stabilisierungsmechanismen auf ihre Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit zu überprüfen - so auch eine europäische Arbeitslosenversicherung.

Aus wissenschaftlicher Sicht ergänzte Dr. Mathias Dolls, stellvertretender Leiter der ZEW-Forschungsgruppe "Internationale Verteilungsanalysen", dass es das Ziel einer gemeinsamen europäischen Arbeitslosenversicherung sei, die wirtschaftliche Stabilität der Währungsunion zu verbessern und die institutionelle Architektur nachhaltig zu stärken. Dabei würden die nationalen Systeme nicht vollkommen vereinheitlicht, sondern gemeinsame Mindeststandards garantiert. Das Konzept einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung berücksichtige ausschließlich Kurzzeitarbeitslose als Zuwendungsempfänger.

Nettozahler und Nettoempfänger wechseln sich ab

Mathias Dolls machte zudem anhand eigener Forschungsergebnisse deutlich, dass eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung insgesamt antizyklisch wirkt. Das Budget dafür habe sich im untersuchten Zeitraum in den Jahren von 2000 bis 2013 durchschnittlich auf 47 Milliarden Euro belaufen. Die Mehrzahl der Mitgliedsländer sei in manchen Jahren Nettozahler und in anderen Jahren wiederum Nettoempfänger gewesen.

Mit Mathias Dolls diskutierten auf dem Podium László Andor, PhD, ehemaliger EU-Kommissar für Beschäftigung und Soziales und Professor für Wirtschaftspolitik an der Corvinus Universität in Budapest, Fabien Dell, PhD, Mitglied im Kabinett des Wirtschaftskommissars Pierre Moscovici der EU-Kommission, sowie Torsten Arnswald, Leiter des Generalreferats Finanzpolitik im Bundesfinanzministerium. Die angeregte und kontroverse Podiumsdiskussion moderierte Maithreyi Seetharaman, Wirtschaftsjournalistin und stellvertretende Vorsitzende des Fortune-Magazins "Most Powerful Women International".

EU-Arbeitslosenversicherung braucht in der Praxis flankierende Maßnahmen

Viele der knapp 100 Gäste, darunter Vertreterinnen und Vertreter der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments sowie von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Wissenschaft, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft, beteiligten sich lebhaft am Austausch. Dabei waren zentrale Fragen, ob eine Vereinheitlichung der Versicherungssysteme eine vorgeschaltete Angleichung der Arbeitsmarktstrukturen erfordert, sowie ob mögliche Fehlanreize durch ein gemeinsames System verhindert werden können. Mathias Dolls schlug risikoabhängige Versicherungsprämien vor sowie die Teilnahme am gemeinsamen Arbeitslosenversicherungssystem an die Erfüllung von Stabilitätskriterien und Reformanstrengungen zu knüpfen.

Zudem debattierte das Podium darüber, inwieweit eine EU-Arbeitslosenversicherung als einheitliches Konzept die unterschiedlichen Verhältnisse in den Mitgliedstaaten wie beispielsweise in Portugal und in den Niederlanden berücksichtigen kann. Aspekte, die die EU politisch und wirtschaftlich über den Horizont der ZEW Lunch Debate hinaus beschäftigen dürften - gemessen an der Bedeutung des Themas Arbeitslosigkeit.